Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
jede Chance nehmen, um die Weltmeisterschaft zu spielen.
»Es handelt sich dabei um die Aufzeichnungen, die der Großmeister Sokolow im Laufe seines Lebens angefertigt hat«, fährt der mit dem roten Schnurrbart fort. »Von diesem Material hängen wichtige Dinge ab. Sie werden verstehen, dass wir das Buch wiederbeschaffen müssen. Es geht um das Prestige des Weltmeisters und um das Ansehen unseres Vaterlandes. Es ist eine Staatsaffäre. Der Raub dieses Buches ist eine Aggression gegen die UdSSR.«
»Aber ich habe dieses Buch nicht und habe es nie gehabt. Ich bin weder auf ein Dach gestiegen noch habe ich ein Zimmer betreten außer meinem eigenen.«
Die müden Augen des Russen fixieren Max mit beunruhigender Gründlichkeit.
»Ist das Ihr letztes Wort, fürs Erste?«
Dieses fürs Erste ist noch furchterregender als die grauen Augen, auch wenn es von einem beinahe freundschaftlichen Lächeln begleitet wird. Max fühlt seinen Widerstand schwinden. Langsam überschreitet die Situation seine Kräfte.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst sagen soll. Außerdem haben Sie nicht das Recht, mich hier festzuhalten. Hier gibt es keinen Eisernen Vorhang.«
Kaum hat er es ausgesprochen, erkennt er, dass er einen Fehler begangen hat. Das Lächeln erstirbt auf den Lippen des anderen.
»Lassen Sie mich Ihnen etwas Persönliches anvertrauen, Herr Costa. Meine Schachkenntnisse sind, sagen wir, nicht der Rede wert. Wovon ich jedoch wirklich etwas verstehe, ist, komplizierte Angelegenheiten in einfache zu verwandeln ... Meine Aufgabe an der Seite des Großmeisters Sokolow besteht darin, dafür zu sorgen, dass seine Partien unter normalen Umständen stattfinden können. Sozusagen das Umfeld zu sichern. Bisher habe ich diesbezüglich einwandfreie Arbeit geleistet. Und jetzt kommen Sie und stören diese Normalität. Sie stellen mich in Frage, verstehen Sie? Und das vor dem Schachweltmeister und meinen Vorgesetzten. Es geht hier um meine Berufsehre, verstehen Sie?«
Max versucht, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Als er endlich den Mund aufbekommt, gelingt es ihm, mit einigermaßen fester Stimme fünf Worte zu artikulieren.
»Bringen Sie mich zur Polizei.«
»Alles zu seiner Zeit. Im Moment sind wir die Polizei.«
Der Russe wirft dem mit den glatten Haaren einen Blick zu, und Max bekommt einen harten Schlag gegen die linke Kopfseite, sodass sein Trommelfell einen Ton von sich gibt, als wäre es soeben geplatzt. Plötzlich findet er sich neben dem umgefallenen Stuhl auf dem Boden wieder, das Gesicht gegen die Bodenfliesen gepresst.
»Machen wir es uns also bequem, Herr Costa«, hört er, und die Stimme scheint von sehr weit her zu kommen. »Und unterhalten wir uns noch ein Weilchen.«
Als Mecha Inzunza den Motor ausschaltete, blieb der Scheibenwischer stehen, Regentropfen bedeckten die Windschutzscheibe, und der Blick auf die Droschken und Pferdekutschen, die vor den drei Eingangsbögen des Bahnhofs parkten, verschwamm. Obwohl es noch nicht dunkel war, brannten die Laternen auf dem Platz bereits. Der Schein der Glühbirnen vervielfachte sich auf dem nassen Asphalt zwischen den bleiernen Reflexen der Abenddämmerung über Nizza.
»Hier verabschieden wir uns«, sagte Mecha.
Es klang barsch. Distanziert. Max hatte sich ihr zugewendet und betrachtete ihr leicht über das Lenkrad gebeugtes Profil. Sie blickte starr nach vorne auf die Straße.
»Gib mir eine Zigarette.«
Er suchte nach dem Etui in der Manteltasche, zündete eineAbdul Pashá an und schob sie Mecha zwischen die Lippen. Einen Moment lang rauchte sie schweigend.
»Wahrscheinlich wird es eine Weile dauern, bis wir uns wiedersehen«, sagte sie schließlich.
Es war keine Frage. Max verzog den Mund.
»Ich weiß es nicht.«
»Was wirst du tun, wenn du in Paris ankommst?«
»Weiter in Bewegung bleiben.« Seine Grimasse wurde noch schiefer. »Ein festes Ziel ist nicht dasselbe wie ein bewegliches. Je schwerer ich es ihnen mache, desto besser.«
»Besteht die Möglichkeit, dass sie dir wehtun?«
»Vielleicht ... Ja. Diese Möglichkeit besteht.«
Sie hatte sich ihm zugewandt und sah ihn an, die Hand mit der brennenden Zigarette auf das Lenkrad gelegt. Das Licht fiel von draußen durch die tropfenübersäte Scheibe und sprenkelte ihr Gesicht mit kleinen Flecken.
»Ich will nicht, dass sie dir wehtun, Max.«
»Ich werde versuchen, die Begegnung mit ihnen zu vermeiden.«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du bei Suzi gestohlen hast. Warum das
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