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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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melancholischer Kuss. Ruhig. Danach liegen sie vollkommen still, ohne die Umarmung zu lösen.
    »Waren diese letzten Jahre so schlimm?«, fragt sie später.
    »Sie hätten besser sein können.«
    So ließe es sich kurz und bündig zusammenfassen, denkt er, kaum dass er es ausgesprochen hat. Dann klagt er ihr leise sein Leid: der körperliche Verfall, die jugendliche Konkurrenz, die sich in der heutigen Welt so viel besser zurechtfindet ... Und berichtet ihr schließlich von der Zeit im Gefängnis von Athen, einer Folge mehrerer Irrtümer und Fehlschläge. Sehr lange habe er nicht eingesessen, aber nach seiner Entlassung sei er am Ende gewesen. Seine Erfahrung habe ihm nur gedient, um sich mit kleinen Gaunereien und Gelegenheitsarbeiten und Trickbetrügereien über Wasser zu halten, und eine Zeit lang sei Italien die reinste Goldgrube gewesen. Doch irgendwann habe auch seine äußere Erscheinung nicht mehr mitgespielt. Die Stelle bei Doktor Hugentobler, bequem und sicher, sei ein echter Glückstreffer gewesen und jetzt unwiederbringlich dahin.
    »Was wird nun aus dir?«, fragt Mecha nach einer Pause.
    »Ich weiß es nicht. Irgendwie werde ich schon wieder auf die Beine kommen. Bisher ist mir das ja immer gelungen.«
    Sie bewegt sich in seinen Armen, als wollte sie zu einem Einspruch ansetzen.
    »Ich könnte ...«
    »Nein.« Er hält sie fest und drückt sie an sich.
    Sie bleibt wieder still liegen. Max starrt in die Dämmerung, und sie atmet langsam und sachte. Eine Weile denkt er, sie schliefe. Schließlich regt sie sich und streift mit den Lippen sein Gesicht.
    »Denk daran«, flüstert sie, »dass ich dir eine Tasse Kaffee schulde, falls du mich irgendwann in Lausanne besuchen solltest.«
    »In Ordnung. Kann gut sein, dass ich mal vorbeikomme.«
    »Denk bitte daran.«
    »Ja ... Ich werde daran denken.«
    Auf einmal meint Max – verblüfft über den Zufall –, vonfern vertraute Musik zu hören, einen Tango. Vielleicht ein Radio im Nachbarzimmer, vermutet er. Oder von unten, von der Terrasse. Es dauert noch einen Moment, bis ihm bewusst wird, dass die Melodie in seinem eigenen Kopf spielt.
    »Ich hatte kein schlechtes Leben«, gesteht er leise. »Die meiste Zeit habe ich vom Geld anderer gelebt, ohne dass ich sie je verachtet oder gefürchtet hätte.«
    »Das klingt doch nach einer ganz guten Bilanz.«
    »Und ich bin dir begegnet.«
    Sie hebt den Kopf von seiner Schulter.
    »Ach, komm schon, du Heuchler. Du bist viel zu vielen Frauen begegnet.«
    Sie sagt es lachend. Fast fröhlich. Er küsst sie zart aufs Haar.
    »Ich denke nie an diese Frauen. An keine von ihnen. Aber ich denke an dich. Glaubst du mir das?«
    »Ja.« Sie legt den Kopf wieder an seine Schulter. »Heute Nacht glaube ich dir. Vielleicht hast du mich ja auch dein Leben lang geliebt.«
    »Mag sein. Vielleicht liebe ich dich jetzt ... Wer weiß?«
    »Klar. Wer weiß?«
    Ein Sonnenstrahl weckt Max, und in dem Licht, das warm auf sein Gesicht fällt, schlägt er die Augen auf. Ein schmaler Streifen blendender Helle scheint durch den Vorhangspalt. Max bewegt sich träge, schwerfällig zuerst, hebt den Kopf unter schmerzhafter Anstrengung vom Kissen und stellt fest, dass er allein ist. Der Reisewecker auf dem Nachttisch zeigt halb elf. Es riecht nach Tabakrauch. Neben der Uhr stehen ein leeres Wasserglas und ein Aschenbecher mit einem Dutzend Zigarettenstummeln darin. Sie hat, wie er daraus schließt, den Rest der Nacht an seiner Seite verbracht. Über seinen Schlaf gewacht, wie sie es versprochen hatte. Wahrscheinlich hat sie ihn schweigend und rauchend betrachtet, nachdem er im Morgengrauen eingeschlafen war.
    Benommen steht er auf, streicht über seine zerknitterten Sachen, knöpft das Hemd auf und sieht, dass die Blutergüsse einen hässlichen dunklen Farbton angenommen haben, als hätte sich mindestens die Hälfte seines Blutes zwischen Haut und Fleisch gesammelt. Von den Leisten bis zum Hals tut ihm alles weh, und bis seine tauben Glieder ein wenig warm geworden sind, ist jeder Schritt in Richtung Badezimmer eine Tortur. Das Bild, das ihm aus dem Spiegel entgegenblickt, ist auch nicht gerade eines aus seinen besten Tagen: ein alter Mann mit geröteten Augen und glasigem Blick starrt ihn argwöhnisch an. Max dreht den Wasserhahn auf und hält den Kopf eine Weile unter den kalten Strahl. Schließlich richtet er sich auf, und bevor er sich abtrocknet, mustert er sein gealtertes Gesicht, durchzogen von tiefen Falten, durch die Wassertropfen

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