Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
einer strengen Prüfung unterzieht. Oder könnte es zumindest. Nach wie vor geht er als kultivierter Herr durch – zu anderen Zeiten war es von der vorgeblich guten Kinderstube zur vorgeblich gediegenen Herkunft nur ein kleiner Schritt gewesen –, und die Gewohnheit, die Not und seine Begabung hatten dieses Erscheinungsbild mit den Jahren perfektioniert, bis die letzte Spur dessen getilgt war, was ihn als Hochstapler hätte entlarven können. Reste, immerhin, einer Anziehungskraft, die es ihm in früheren Zeiten erlaubt hatte, sich auf ungewissem, oft feindlichem Terrain mit der unbefangenen Selbstsicherheit eines Jägers zu bewegen. Voranzukommen und zu überleben. Oder beinahe. Bis vor kurzem.
Max pfeift Torna a Sorrento , während er den Bademantel abstreift und sich so langsam und sorgfältig anzukleiden beginnt wie damals, als das penible Ritual, sich dem Anlassgemäß zurechtzumachen, die richtige Neigung einer Hutkrempe, die Form eines Krawattenknotens oder die fünf verschiedenen Varianten, ein weißes Tuch aus der Brusttasche eines Jacketts ragen zu lassen, das Gefühl gaben, ein Krieger zu sein, der sich auf die Schlacht vorbereitet, erfüllt von Optimismus und dem festen Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Und diese vage Empfindung aus früheren Zeiten, der vertraute Duft gespannter Erwartung, streichelt seinen wiedergewonnenen Stolz, als er die Baumwollunterwäsche anzieht, die grauen Socken – was einige Anstrengung erfordert, weil ihm das Bücken schwerfällt – und das Hemd aus Doktor Hugentoblers Schrank, das ein wenig zu locker fällt. Neuerdings trägt man eher eng anliegende Kleidung; zwar haben die Hosen weite Beine, aber Jacketts und Hemden sind schmal. Max, der sich mit der aktuellen Mode nicht anfreunden kann, gefällt jedoch der klassische Schnitt des Sir-Bonser-Hemdes aus blassblauer Seide mit den geknöpften Kragenecken, das, seinem gewohnten Stil entsprechend, sitzt wie maßgeschneidert. Bevor er es zuknöpft, verharrt sein Blick auf der zollbreiten sternförmigen Narbe an seinem Brustkorb in Höhe der unteren Rippen, wo die Kugel eines Heckenschützen im marokkanischen Taxuda am 2. November 1921 einen Lungenflügel gestreift hat. Damit war nach einem Krankenhausaufenthalt in Melilla die kurze Militärlaufbahn des Legionärs Max Costa beendet, der sich unter diesem Namen – und indem er seinen ursprünglichen, Máximo Covas Lauro, für immer hinter sich ließ – fünf Monate zuvor für die 13. Kompanie der Afrikaeinheit der Spanischen Fremdenlegion hatte anwerben lassen.
Der Tango, erzählte Max, sei aus der Verschmelzung mehrerer Stilrichtungen entstanden: dem andalusischen Tango,der Habanera, der Milonga und den Tänzen der schwarzen Sklaven. Die kreolischen Gauchos, die mit ihren Gitarren nach und nach die Schänken und Freudenhäuser an der Küste von Buenos Aires eroberten, hätten zunächst die – gesungene – Milonga übernommen und schließlich den Tango, der anfangs eine getanzte Milonga gewesen sei. Die Musik und Tänze der Schwarzen seien von großem Einfluss gewesen, denn zu jener Zeit hätten die Paare sich nicht umarmt, sondern nur lose gefasst. Sie hätten mehr Abstand gehalten als heute, um Kreuzschritte, Rückwärtsbewegungen, einfache und komplizierte Drehfiguren zu tanzen.
»Tangos von Negern?«, wunderte sich Armando de Troeye. »Ich wusste gar nicht, dass es dort Neger gab.«
»Damals schon. Ehemalige Sklaven, natürlich. Eine Gelbfieberepidemie machte am Ende des Jahrhunderts vielen den Garaus.«
Die drei saßen in der Doppelkabine der ersten Klasse um den Tisch. Es roch nach dem Leder teurer Koffer und Reisetaschen, Kölnischwasser und Terpentin. Durch das breite Fenster sah man das friedliche blaue Meer. Nachdem Max, in einem grauen Anzug, einem Hemd mit weichem Kragen und einem schottisch karierten Schlips, um zwei Minuten nach zwölf an die Tür geklopft hatte und Armando de Troeye sich anfangs als Einziger in seinem Element zu fühlen schien, verlief das Essen – Consommé aus süßen Paprikas, Languste mit Mayonnaise, dazu ein gut gekühlter Rheinwein – dann bei angeregter Konversation, auch wenn der Komponist diese zunächst fast allein bestritt. Erst gab er ein paar persönliche Anekdoten zum Besten, und dann fragte er Max über dessen Kindheit in Buenos Aires aus, über die Rückkehr nach Spanien und sein Leben als Berufstänzer in Nobelhotels, Badeorten mit Saisonbetrieb und Überseeschiffen. Max war auf der Hut, wie immer, wenn es um seinen
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