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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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Erste-Klasse-Rauchsalon der Titanic, während diese im eisigen Wasser des Nordatlantiks versank, eine lange Bridgepartie zu Ende gespielt, seinen Gewinn eingestrichen, sich in die Wellen gestürzt und gerade noch das letzte Rettungsboot erreicht hatte.
    Jedenfalls betrat Armando de Troeye an diesem Morgen die Bar in der zweiten Klasse der Cap Polonio, und Max war erstaunt, ihn dort zu sehen, denn es kam nicht oft vor, dass die Passagiere an Bord die Klassengrenzen überschritten. Aber noch mehr verblüffte ihn, dass der berühmte Komponist, angetan mit einer Norfolk-Sportjacke, einer Weste mit goldener Uhrkette, Knickerbockern und Reisekappe, in der Tür stehenblieb, sich umblickte und, als er Max entdeckte, direkt auf ihn zukam und sich auf den Stuhl neben ihm setzte.
    »Was trinken Sie?«, fragte er, während er den Kellner heranwinkte. »Absinth? Ist mir zu stark. Ich glaube, ich nehme einen Wermut.«
    Bis der Barkellner mit dem roten Jäckchen das Getränk servierte, hatte Armando de Troeye Max bereits zu seinen Fähigkeiten auf der Tanzfläche beglückwünscht und plauderte leutselig über Ozeandampfer, Musik und den Tänzerberuf. Er war der Komponist der Nocturnos – neben anderen Erfolgsstücken wie Scaramouche oder dem Ballett Pasodoble para Don Quijote , das durch Djaghilew weltweite Berühmtheit erlangt hatte –, ein selbstsicherer Mann, wie der Eintänzer feststellte, ein Künstler, der wusste, wer er war und wofür er stand. Dennoch, und obwohl er in der Bar der zweiten Klasse seine gewohnte distinguierte Überlegenheit weiterhin zur Schau trug – großer Musiker gibt sich mit der Arbeiterklasse seines Metiers ab –, bemühte er sich sichtlich, liebenswürdig zu wirken. Sein Verhalten war, trotz spürbarer Vorbehalte, weit entfernt von der Teilnahmslosigkeit, mit der er in den vergangenen Tagen zugesehen hatte, wenn Max mit seiner Frau tanzte.
    »Ich habe Sie genau beobachtet, das versichere ich Ihnen. Sie kommen der Perfektion sehr nahe.«
    »Danke sehr. Allerdings übertreiben Sie«, erwiderte Max mit einem kleinen wohlerzogenen Lächeln. »Das hängt immer auch von der Partnerin ab ..., und Ihre Gattin ist eine wundervolle Tänzerin, wie Sie natürlich wissen.«
    »Selbstredend. Sie ist eine einzigartige Frau, ohne Zweifel. Aber Sie haben geführt. Sie markierten das Feld, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und das kann man nicht aus dem Stegreif.« De Troeye nahm das Glas, das der Kellner auf den Tisch gestellt hatte, und hielt es gegen das Licht, als misstraute er der Qualität des Wermuts, dem man in einer Bar der zweiten Klasse serviert bekam. »Gestatten Sie mir eine berufliche Frage?«
    »Aber ja.«
    Ein vorsichtiger Schluck. Ein zufriedenes Lächeln unter dem schmalen Schnurrbart.
    »Wo haben Sie so Tango tanzen gelernt?«
    »Ich stamme aus Buenos Aires.«
    »Was Sie nicht sagen.« De Troeye trank noch einen Schluck. »Das hört man gar nicht.«
    »Ich bin schon früh dort weg. Mein Vater kam aus Asturien und ist in den neunziger Jahren ausgewandert ... Es lief nicht gut für ihn, er wurde krank und kehrte schließlich zum Sterben nach Spanien zurück. Zuvor aber hatte er Zeit, eine Italienerin zu heiraten, ihr ein paar Kinder zu machen und uns alle mitzunehmen.«
    Der Komponist beugte sich über die Armlehne seines Rohrsessels.
    »Wie lange also haben Sie dort gelebt?«
    »Bis zum vierzehnten Lebensjahr.«
    »Das erklärt alles. Diese Authentizität Ihrer Tangos ... Warum schmunzeln Sie?«
    Max’ Schulterzucken war aufrichtig.
    »Weil daran nichts Authentisches ist. Der ursprüngliche Tango ist anders.«
    Ehrliches – oder gut gespieltes – Erstaunen. Vielleicht war es auch nur höfliches Interesse. Das Glas hielt auf halbem Weg zwischen dem Tisch und de Troeyes geöffnetem Mund inne.
    »Ach ... Und wie ist der?«
    »Dynamischer. Von Volksmusikern rein nach Gehör gespielt. Eher lasziv als elegant, wenn man so will. Mehr cortes und quebradas , also ruckhafte, brüske Bewegungen, getanzt von Prostituierten und Zuhältern.«
    De Troeye fing an zu lachen.
    »Mancherorts ist das immer noch so«, versetzte er.
    »Nicht ganz. Im Vergleich zum Original hat sich der Tango stark verändert, insbesondere als er vor zehn, fünfzehn Jahren in der Pariser Halbwelt in Mode kam ... Von der ihn dann auch die bessere Gesellschaft übernahm. Und schließlich kehrte er, französisch eingefärbt, nach Argentinien zurück und wurde zu einem glatten, fast sittsamen Tanz.« Wieder hob er die Schultern, trank

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