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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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sich die Lippen mit Cognac und sah Max über den Rand des Glases hinweg an. »Worin besteht Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen dem früheren und dem modernen Tango?«
    Der Eintänzer lehnte sich in seinem Stuhl zurück und tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Zigarette, bis die Asche in den Aschenbecher fiel.
    »Ich bin kein Musiker. Ich tanze nur, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich kann nicht mal eine Achtelnote von einer Fermate unterscheiden.«
    »Trotzdem. Ich wüsste gern, wie Sie es sehen.«
    Max nahm zwei Züge von seiner Zigarette, ehe er antwortete.
    »Ich kann über das sprechen, was ich kenne. Woran ich mich erinnere ... Mit der Musik war es dasselbe wie mit der Art zu tanzen und zu singen. Früher spielten die Musiker drauflos; Stücke, die sie kaum kannten, nach Klaviernoten oder aus dem Gedächtnis. A la parrilla , heißt das dort: vom Grill. Also frei improvisiert. Ähnlich wie Jazzmusiker bei einer Jam Session.«
    »Und wie waren diese Orchester?«
    Klein, erwiderte Max. Drei oder vier Musiker, Bässe vom Bandoneon, einfache Akkorde und eine schnellere Spielweise. Es sei eher um die Form der Interpretation gegangen als um die Komposition. Mit der Zeit seien diese Kapellen immer mehr von modernen Orchestern verdrängt worden: Klavier statt Gitarre, garniert mit Geigen und grummelnden Bandoneonbälgen. Unerfahrenen Tänzern, den neuen Tango-Liebhabern, sei das sehr entgegengekommen, und die kommerziellen Orchester hätten sich den neuen Tango sofort zu eigen gemacht.
    »Das ist der, den wir heute tanzen«, schloss er und drückte sehr sorgfältig die Zigarette aus. »Der im Salon der Cap Polonio und in den achtbaren Lokalen von Buenos Aires gespielt wird.«
    Mecha Inzunza hatte ihre Zigarette drei Sekunden nach Max im selben Aschenbecher ausgedrückt.
    »Und der andere?«, fragte sie, wobei sie die Elfenbeinspitze spielerisch zwischen den Fingern drehte. »Was ist aus dem alten geworden?«
    Nicht ohne Mühe wandte der Eintänzer den Blick von den Händen der Frau: schmal, anmutig, rassig. Am linken Ringfinger steckte der goldene Ehering. Als er aufsah, blickte er in Armando de Troeyes starre, ausdruckslose Augen.
    »Es gibt ihn schon noch«, entgegnete er. »Aber nur noch vereinzelt und immer seltener. Je nachdem, wo er gespielt wird, kann es sein, dass die Tanzfläche fast leer bleibt. Er ist schwieriger. Roher.«
    Max hielt einen Moment inne. Ein spontanes Lächeln erhellte sein Gesicht, denn ihm war etwas eingefallen:
    »Ein Freund von mir pflegte zu sagen, es gebe Tangos zum Leiden und Tangos zum Töten ... Die ursprünglichen Tangos sind eher solche zum Töten.«
    Mecha Inzunza hatte einen Ellbogen auf den Tisch gestützt und das Gesicht in die Hand geschmiegt. Sie schien mit gespanntem Interesse zuzuhören.
    » Tango de la Guardia Vieja . Tango der alten Garde, so wird er von manchen genannt«, fügte Max hinzu. »Um ihn wieder zu unterscheiden. Vom modernen.«
    »Hübsche Bezeichnung«, befand de Troeye. »Woher kommt sie?«
    Jetzt war sein Gesicht nicht mehr ausdruckslos. Er war wieder ganz der liebenswürdige, aufmerksame Gastgeber. Max machte eine Geste, als erübrigte sich die Frage.
    »Keine Ahnung. Das ist der Titel eines alten Tangos: La Guardia Vieja ... Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Und ist er immer noch ... obszön?«, fragte sie.
    Ihr Tonfall war sachlich. Fast wissenschaftlich. Wie der einer Insektenforscherin, die wissen möchte, ob beispielsweise die Paarung zweier Käfer obszön sei. Vorausgesetzt, dachte Max, Käfer paarten sich. Ja, doch, vermutlich schon.
    »Kommt darauf an, wo er gespielt wird«, sagte er.
    Armando de Troeye schien von alldem hell begeistert.
    »Was Sie uns da erzählen, ist faszinierend«, sagte er. »Viel mehr, als Sie ahnen. Und es verändert einige Ideen, die ich im Kopf hatte. Ich würde so etwas gern einmal in natura erleben.«
    Max verzog skeptisch das Gesicht.
    »Das findet aber in nicht gerade empfehlenswerten Lokalen statt.«
    »Kennen Sie solche Orte in Buenos Aires?«
    »Den einen oder anderen. Wobei nicht empfehlenswert der falsche Ausdruck ist.« Er sah Mecha Inzunza an. »Es ist gefährlich dort. Nichts für Damen.«
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen«, gab sie sehr ruhig und sehr kühl zurück. »Wir waren durchaus schon an Orten, die für Damen nicht zu empfehlen sind.«
    Es ist später Nachmittag. Die sinkende Sonne steht noch oberhalb der Punta del Capo und lässt die Villen am Berghang in Grün- und

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