Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Rottönen leuchten. Max Costa – in derselben blauen Jacke und der grauen Flanellhose, die er bei seiner Ankunft im Hotel getragen hatte, nur hat er jetzt statt des Seidentüchleins eine rote, blaugetupfte, zum Windsorknoten gebundene Krawatte angelegt – verlässt sein Zimmer und mischt sich unter die Gäste, die vor dem Abendessen einen Aperitif zu sich nehmen. Der sommerliche Andrang ist vorbei, doch dank des Schachturniers herrscht im Hotel noch Betrieb; in der Bar und auf der Terrasse sind fast alleTische besetzt. Auf einem Schild ist für morgen die nächste Partie Sokolow–Keller angekündigt. Max bleibt davor stehen und schaut sich das Foto der beiden Kontrahenten an: Unter buschigen blonden Brauen und einem borstig abstehenden Schopf sind die hellen, wässrigen Augen des russischen Weltmeisters verdrossen auf die Figuren gesenkt. Sein rundes, derbes Gesicht erinnert an das eines Bauern, der dem Schachbrett dieselbe Aufmerksamkeit widmet wie Generationen seiner Vorfahren dem Gedeihen eines Weizenfeldes oder der Frage, ob der Himmel Regen oder Dürre verspricht. Jorge Keller blickt gedankenverloren, fast verträumt in die Kamera. Ein wenig naiv, so scheint es Max. Vielleicht schaut er auch nicht direkt in die Kamera, sondern auf einen Punkt dahinter, auf jemanden oder etwas, das weniger mit Schach als vielmehr mit jugendlichen Wunschvorstellungen oder unbestimmten Sehnsüchten zu tun hat.
Eine laue Brise. Das Murmeln vieler Stimmen und sanfte Hintergrundmusik. Die Terrasse des Vittoria ist weitläufig und prachtvoll. Jenseits der Balustrade dehnt sich das herrliche Panorama des Golfs von Neapel, das im goldenen Licht der immer schräger einfallenden Sonnenstrahlen allmählich verblasst. Der Oberkellner führt Max zu einem Tisch neben der Marmorstatue einer nackten, halb knieenden Frau, die aufs Meer blickt. Max nimmt Platz, bestellt ein Glas kalten Weißwein und schaut sich um. Das Ambiente ist gediegen, dem Ort und der Tageszeit angemessen. Gut gekleidete ausländische Urlauber, vor allem Amerikaner und Deutsche, die Sorrent außerhalb der Saison besuchen. Die Übrigen sind geladene Gäste des Millionärs Campanella, die Auserwählten, denen er die Anfahrt und das Hotel bezahlt. Auch Schachliebhaber, die es sich leisten können, die Kosten für Reise und Aufenthalt selbst zu bestreiten. An einem Tisch in der Nähe erkennt Max eine schöne Filmschauspielerin in Begleitung einiger anderer Personen, darunter ihr Ehemann, einCinecittà-Produzent. Zwei junge Männer, die nach Lokalreportern aussehen, treiben sich herum. Einer von ihnen trägt eine Pentax um den Hals, und jedes Mal, wenn er sie hebt, verbirgt Max wie unabsichtlich sein Gesicht, indem er sich mit der Hand darüberstreicht oder den Kopf wegdreht. Unwillkürliche Gesten eines Jägers, der aufpassen muss, nicht selbst zur Beute zu werden. Reflexhafte Ausweichmanöver, aus professionellem Instinkt und zur Vermeidung von Risiken entwickelt, die ihm durch langjährige Praxis in Fleisch und Blut übergegangen sind. Eine Angewohnheit aus einer Zeit, als Max Costa nichts so verwundbar machte wie ein Polizist, der ihn erkennen und sich fragen könnte, was ein Veteran aus dem Fach der Gentlemandiebe, wie es früher beschönigend hieß, an diesem oder jenem Ort verloren haben mochte.
Als die Reporter weg sind, sucht Max’ Blick die Umgebung ab. Auf dem Weg nach unten hatte er noch gedacht, es müsse ein außerordentlicher Zufall sein, die Frau auf Anhieb zu finden, doch tatsächlich entdeckt er sie im selben Moment, nicht sehr weit entfernt, an einem Tisch mit einigen anderen, darunter weder der junge Keller noch das Mädchen. Diesmal trägt sie keinen Tweedhut, und das kurze silbrig graue Haar, allem Anschein nach völlig naturbelassen, ist unbedeckt. Wenn sie sich unterhält, neigt sie ihrem Gesprächspartner mit höflichem Interesse das Gesicht zu – eine Geste, die Max erstaunlich vertraut ist –, und manchmal lehnt sie sich in ihrem Stuhl zurück und folgt der Konversation mit zustimmendem Lächeln. Sie ist schlicht gekleidet, mit der gleichen lässigen Eleganz wie gestern: weiter dunkler Rock mit einem breiten Gürtel über einer weißen Seidenbluse. Ihre Füße stecken in Wildledermokassins, und die Strickjacke hat sie über die Schultern gehängt. Sie trägt keinerlei Schmuck, nur eine schmale Armbanduhr am Handgelenk.
Max kostet den Wein, zufrieden mit der Temperatur, diedas Glas beschlagen lässt. Als er sich vorbeugt, um es wieder auf den
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