Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
versteckten Ironie gekränkt fühlen müsste, beschloss dann aber, dass sie es wohl ehrlich meinte. Obwohl er sie sich eigentlich nicht verängstigt vorstellen konnte. Nicht wegen gewisser Unwägbarkeiten.
»Es handelt sich um rustikale Kneipen«, stellte er klar. »In verrufenen Gegenden am Stadtrand. Aber ich bin mir wirklich nicht sicher, ob Sie ...«
Er brach ab und wandte sich ihr zu. Sein absichtliches, bedachtsames Stocken schien sie zu amüsieren.
»Ob ich mich an so gefährliche Orte wagen sollte, wollten Sie sagen?«
»So gefährlich ist es nun auch wieder nicht. Hauptsache, man protzt nicht zu sehr.«
»Mit was?«
»Mit Geld. Mit Schmuck. Mit zu teurer, schicker Kleidung.«
Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Dieses hemmungslose, herzhafte Lachen. Ein sozusagen sportliches, auf Tennisplätzen, an exklusiven Stränden, in Golfklubs oder zweisitzigen Hispano-Suizas trainiertes Lachen, dachte Max.
»Verstehe ... Soll ich mich als leichtes Mädchen verkleiden, um nicht aufzufallen?«
»Machen Sie keine Witze.«
»Das ist kein Witz.« Ihr Blick war überraschend ernst. »Sie würden sich wundern, wenn Sie wüssten, wie viele kleine Mädchen davon träumen, sich als Prinzessinnen zu verkleiden, und wie viele erwachsene Frauen sich am liebsten als Hure verkleiden würden.«
Das Wort Hure klang aus ihrem Mund nicht ordinär, wie Max verblüfft feststellte. Eher provokant. Passend zu einer Frau, die imstande war, aus Neugierde oder aus Spaß in ein verruchtes Viertel zu gehen, um dem Pöbel beim Tangotanzen zuzusehen. Es ist ihre Art, dachte der Eintänzer, bestimmte Worte auszusprechen oder einem Mann in die Augen zu sehen, wie sie es gerade tat. Was immer sie sagte, Mecha Inzunza könnte nicht ordinär sein, selbst wenn sie es darauf anlegte. Als der Obergefreite Boris Dolgoruki noch lebte, hatte er es ziemlich gut auf den Punkt gebracht: Manche wollen und können nicht, und andere können machen, was sie wollen.
»Mich erstaunt das Interesse Ihres Mannes an Tango«, sagte er. »Ich hielt ihn für ...«
»Einen seriösen Komponisten?«
Jetzt musste Max lachen. Er tat es jedoch verhalten und maßvoll, wie es sich für einen Mann von Welt gehörte.
»So könnte man es sagen. Man ist geneigt, den Niveauunterschied zu sehen zwischen seiner Musik und der des einfachen Volkes.«
»Nennen wir es eine Laune. Mein Gatte ist ein sehr ausgefallener Mensch.«
Insgeheim pflichtete Max ihr bei. Ausgefallen war gewiss eine zutreffende Beschreibung. Soviel er wusste, gehörte Armando de Troeye zu den sechs bekanntesten und bestbezahlten Komponisten der Welt. Von den zeitgenössischen spanischen Musikern konnte ihm außer Manuel de Falla keiner das Wasser reichen.
»Ein bewundernswerter Mann«, fügte sie kurz darauf hinzu. »In dreizehn Jahren hat er geschafft, wovon andere kaum zu träumen wagen ... Kennen Sie Djaghilew und Strawinski?«
Max lächelte leicht pikiert. Ich bin vielleicht nur ein Salontänzer, sagte seine Miene, und kenne Musik nur vom Hören. Aber dafür reicht es gerade noch.
»Natürlich. Der Leiter des russischen Balletts und sein Lieblingskomponist.«
Sie nickte und fing an zu erzählen: Ihr Mann sei den beiden während des Ersten Weltkrieges in Madrid begegnet, im Haus einer chilenischen Freundin, Eugenia de Errazuriz. Sie hätten sich dort aufgehalten, um im Teatro Real den Feuervogel und Petruschka zur Aufführung zu bringen. Armando de Troeye sei damals ein hochtalentierter, aber weitgehend unbekannter Komponist gewesen. Sie hätten sich auf Anhieb gemocht, er hätte sie in Toledo und El Escorial herumgeführt, und so seien sie Freunde geworden. Im Jahr darauf hätten sie sich in Rom wiedergesehen, wo er durch sie Picasso kennengelernt habe. Nach dem Krieg, als Djaghilew und Strawinski erneut nach Madrid gekommen seien, weil Petruschka dort noch einmal auf dem Spielplan gestanden habe, sei de Troeye mit ihnen zu den Osterprozessionen nach Sevilla gefahren. Bei ihrer Rückkehr seien sie ein Herz und eine Seele gewesen.Drei Jahre später, 1923, habe die Uraufführung von Pasodoble para Don Quijote mit dem russischen Ballett stattgefunden und rauschende Triumphe gefeiert.
»Alles Weitere wird Ihnen wohl bekannt sein«, schloss Mecha Inzunza. »Die Tournee durch die Vereinigten Staaten, der Triumph der Nocturnos in London in Anwesenheit des spanischen Königspaares, die Rivalität mit Falla und der Riesenskandal um die Inszenierung von Scaramouche letztes Jahr in der
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