Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
das Prasseln des Regens gegen ein Fenster mit Blick auf das Mittelmeer, lauer Kaffeegeschmack auf Frauenlippen, Seide und straffe Haut. Lange vergessene körperliche Empfindungen, die plötzlich heranwehen wie trockenes Laub in einem Herbststurm. Und den Puls, der für immer beschwichtigt schien, auf einmal zum Rasen bringen.
Nachdenklich setzt sich Max aufs Bett und lässt die Perlen durch seine Finger gleiten wie einen Rosenkranz. Dann steht er seufzend auf, streicht die Decke glatt und legt die Kette an ihren Platz zurück. Er steckt die Brille ein, schaut sich ein letztes Mal um, löscht das Licht, nimmt das Handtuch von der Tür, faltet es und bringt es zurück ins Bad. Er zieht den Vorhang zur Terrasse auf. Es ist bereits dunkel, und die Lichter von Neapel flimmern in der Ferne. Beim Hinausgehen entfernt er das Non-disturbare -Schild und schließt die Tür. Dann zieht er die Gummihandschuhe aus und geht mit langen, federnden Schritten über den Teppich, eine Hand in der Tasche, während er mit Daumen und Zeigefinger der anderen seinen Krawattenknoten richtet. Er ist vierundsechzig Jahre alt, aber er fühlt sich wieder jung. Attraktiv sogar. Und vor allem kühn.
Es wimmelte von Laufburschen, die Telegramme und Nachrichten überbrachten, von gutgekleideten Gästen, Pagen mit Karren voller Koffer. Das rege Treiben war typisch für ein teures, mondänes Hotel wie dieses, wo auf schweren Teppichen das Signet des Hauses prangte. Max Costa wartete seit eineinviertel Stunden im Rauchsalon, gleich neben der säulengeschmückten Eingangshalle und der monumentalen Treppe mit ihrem schmiedeeisernen Geländer. Die Sonne schien durch die großen Fenster und hüllte den Eintänzer in ein angenehmes, vielfarbiges Licht. Er saß unter der hohen bemalten Decke in einem Ledersessel, von wo aus er das gesamte Foyer überblicken konnte und auch die Drehtür zur Straße, einen der Fahrstühle und die Rezeption im Auge hatte. Er war für drei Uhr nachmittags mit dem Ehepaar de Troeye verabredet und fünf Minuten früher als verabredet im Palace eingetroffen, doch jetzt zeigte die Uhr über dem Kamin bereits zehn nach vier. Mit einem weiteren Blick auf die Uhr änderte er die Sitzhaltung, wobei er sich bemühte, die Hose des grauen Anzugs nicht auszubeulen, die er eigenhändig in seinem Pensionszimmer gebügelt hatte, und drückte die Zigarette in einen großen Messingaschenbecher. Die Unpünktlichkeit des Komponisten und seiner Frau störte ihn nicht. Geduld war in gewissen Situationen – im Grunde immer – eine nützliche Tugend. Eine ungeheuer praktische Eigenschaft. Seine Geduld machte ihn zu einem virtuosen Jäger.
Seit fünf Tagen war er nun in der Stadt, ebenso lange wie die de Troeyes. Nachdem sie in Rio de Janeiro und Montevideo Station gemacht hatte, war die Cap Polonio im trüben Wasser des Rio de la Plata stromaufwärts gefahren und hatte nach langwierigen Landungsmanövern bei den Kränen, Hafengebäuden und Lagerhäusern aus rotem Ziegel festgemacht, wo sich in Erwartung der Passagiere eine dichte Menschenmenge drängte. Während in Europa Herbst war, begann im Süden Amerikas der Frühling, und von den hohen Decks des Überseeschiffes sah man nur leichte Kleidung, helle Anzüge und weiße Strohhüte. Max, der erst mit dem Personal von Bord gehen würde, sah vom Deck der zweiten Klasse aus, wie Mecha Inzunza und ihr Mann die Haupttreppe hinabstiegen, unten von einem halben Dutzend Menschen und einer Gruppe Journalisten empfangen wurden und sich mit ihnen auf den Weg zu ihrem Gepäck machten, einem Berg von Koffern und Truhen, um den sich drei Burschen und ein Angestellter der Schiffsgesellschaft kümmerten. Die de Troeyes hatten Max zwei Tage zuvor auf Wiedersehen gesagt, nach einem Abschiedsessen und nachdem Mecha Inzunza drei Stücke lang mit ihm getanzt hatte, während ihr Gatte rauchend am Tisch saß und ihnen zusah. Anschließend hatten ihn die beiden in die Bar der ersten Klasse auf ein Glas eingeladen, was Max akzeptiert hatte, obwohl das Bordpersonal dort eigentlich keinen Zutritt hatte, aber es war nun mal sein letzter Arbeitstag. Sie tranken ein paar Champagnercocktails, unterhielten sich bis spät in die Nacht über argentinische Musik und vereinbarten, sich an Land wieder zu treffen, damit Max sein Versprechen einlösen und sie an einen Ort führen würde, wo Tango noch nach Art der alten Garde zu erleben war.
Und nun saß er hier in Buenos Aires und beobachtete das Treiben in der Hotelhalle mit
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