Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Wellen des Riachuelo.
»Ja. Ebenfalls eine Zeit lang.«
Weiter erzählte er nichts, trotz der Prozession von Bildern, die vor seinem inneren Auge vorüberzog: Boskes prächtiger Körper, ihr à la Louise Brooks geschnittenes schwarzes Haar, ihr herrliches Gesicht unter Stroh- oder Filzhüten, ihr Lächeln in den belebten Cafés von Montparnasse, wo soziale Unterschiede belanglos waren, wie sie in ihrer außerordentlichen Naivität versicherte. Immer provokativ und herzlich, mit ihrer rauen Stimme und der Marseiller Mundart, für alles zu haben, Tänzerin und Gelegenheitsmannequin, vor sich einen Café crème oder einen billigen Gin, saß sie in einem der Bambussessel auf der Terrasse des Dôme oder der Closerie des Lilas zwischen amerikanischen Touristen, Schriftstellern, die nicht schrieben, und Malern, die nicht malten. »Je danse et je pose«, pflegte sie lautstark ihren Körper feilzubieten, immer auf der Suche nach Künstlern und nach Ruhm. Sie frühstückte um ein Uhr mittags – Max und sie gingen selten vor Tagesanbruch schlafen – in ihrem Lieblingscafé Chez Rosalie, wo sie sich mit ihren ungarischen und polnischen Freunden traf, die sie mit Morphiumampullen versorgten. Eifrig folgte ihr berechnender Blick den gutgekleideten Herren und juwelenbehängten Damen, den edlen Pelzmänteln und Luxuslimousinen auf dem Boulevard. Genauso beobachtete sie jede Nacht die Gäste des mittelmäßigen Kabaretts, wo sie und Max auftraten und, sie im Seidenkleid, er mit weißer Fliege, gediegenen Salontango tanzten oder, er im Ringelhemd und sie in schwarzen Netzstrümpfen, lasziven Ganoventango vorführten. Immer in Erwartung der richtigen Begegnung und des alles entscheidenden Wortes. Der Gelegenheit, die sich niemals bot.
»Und was ist aus ihr geworden?«, wollte Mecha wissen.
»Sie blieb zurück.«
»Weit zurück?«
Er antwortete nicht. Mecha schaute ihn noch immer prüfend an.
»Wie hast du den Sprung in die gehobenen Kreise geschafft?«
Nur zögernd kehrte Max in die Gegenwart zurück. Nach und nach erfassten seine Augen wieder die Straßen von La Boca, die auf den kleinen Platz mündeten, die Ufer des Riachuelo und die Avellaneda-Brücke. Das Gesicht der Frau,die ihn fragend ansah, wahrscheinlich verwundert über seine plötzlich verkniffene Miene. Der Eintänzer blinzelte, als irritierte ihn das Tageslicht, wie ihn die gleißende Helligkeit von Barcelona, Melilla, Oran oder Marseille irritiert hatte. Die Sonne von Buenos Aires blendete und schmerzte auf der Netzhaut, der eine andere, trübere Beleuchtung eingebrannt war, in der Boske mit dem Gesicht zur Wand auf dem zerwühlten Bett lag. Ihr nackter weißer Rücken, reglos im grauen Zwielicht einer Morgendämmerung, die so schmutzig war wie das Leben. Und Max, der vor diesem Anblick die Tür schloss, leise, als schöbe er heimlich den Deckel über einen Sarg.
»In Paris ist das kein Problem«, antwortete er nur. »Die Schichten mischen sich dort stark. Leute mit Geld verkehren in den verkommensten Milieus ... Wie du und dein Mann in La Ferroviaria. Nur dass sie keinen Vorwand dafür brauchen.«
»Wie soll ich das denn verstehen?»
»Ich hatte einen Freund in Afrika«, fuhr er fort, ohne ihre Frage zu beachten. »Von ihm habe ich dir auch schon auf dem Schiff erzählt.«
»Der russische Aristokrat mit dem langen Namen? Ja, ich erinnere mich. Du hast gesagt, er sei tot.«
Er nickte, beinahe erleichtert. Es war einfacher darüber zu sprechen, als über die halbnackte Boske im diesigen Morgengrauen der Rue de Furstemberg, seinen letzten Blick auf die Spritze, die zerbrochenen Ampullen, die Gläser, Flaschen und Essensreste auf dem Tisch, das grämliche Zwielicht, die Schuldgefühle. Dieser russische Freund, berichtete er, habe behauptet, Offizier des Zaren gewesen zu sein und der Weißen Armee angehört zu haben, bis zu deren Rückzug von der Krim; dann sei er nach Spanien gegangen, wo er sich nach einer Affäre um Geld und Glücksspiel von der Fremdenlegion habe anwerben lassen. Ein bemerkenswerter Mensch,respektlos, elegant, ein Frauentyp. Er habe Max Manieren beigebracht und ihm den ersten Schliff verpasst: die korrekte Art, eine Krawatte zu binden oder ein Tuch für die Brusttasche zu falten, die genaue Zusammenstellung einer Vorspeisenplatte, von Sardellen bis Kaviar, die zu einem eiskalten Wodka gereicht werden sollte. Es sei amüsant, aus einem Stück Kanonenfutter etwas zu machen, das man für einen feinen Herrn halten könnte, wie er es einmal
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