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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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folgenden Seite, zwischen einer Meldung über die Vorbereitungen zur nächsten Weltraummission der Gemini – USA führend im Wettlauf zum Mond – und einer Werbeanzeige für Autobenzin – Pack den Tiger in den Tank – ist ein Kriegsfoto abgebildet: Die Schwarzweißaufnahme zeigt einen korpulenten amerikanischen Soldaten von hinten mit einem vietnamesischen Kind auf den Schultern, das sich umdreht und misstrauisch in die Kamera schaut.
    Ein Alfa Giulia fährt dicht an ihm vorbei, und Max meint durch die offenen Fenster die Melodie zu erkennen, die gerade aus dem Autoradio ertönt. Er hebt den Blick von dem Bild des Soldaten mit dem kleinen Jungen – es hat ihm fünfundvierzig Jahre alte Bilder von anderen Soldaten und anderenKindern ins Gedächtnis gerufen – und sieht verwirrt dem Wagen nach, der in Richtung der Verlängerung des Corso Italia und der gelb-weißen Fassade der Kirche Santa Maria del Carmine davonfährt. Und da seine Gedanken noch immer um die Zeitungsmeldungen kreisen, braucht er ein paar Sekunden, um die Musik wirklich zu erkennen, die seine Ohren flüchtig wahrgenommen haben: den vertrauten Rhythmus, gespielt in einer Orchesterbearbeitung mit Schlagzeug und Elektrogitarre, des berühmten Klassikers, der seit vierzig Jahren in der ganzen Welt unter dem Titel Tango de la Guardia Vieja bekannt ist.
    Als Max mit einem corte mitten im Schritt den Tanz unterbrach, sah Mecha ihm kurz in die Augen, drückte sich herausfordernd an ihn, und während sie den Körper von einer Seite zur anderen wiegte, hakte sie die Unterschenkel abwechselnd um sein vorgesetztes, bewegungsloses Standbein. Unerschütterlich ertrug er ihre Schmiegsamkeit unter dem leichten Crêpe des Kleides. Ein Moment außerordentlicher Intimität, obwohl sie in La Ferroviaria im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen und Dutzende Blicke auf sie gerichtet waren. Um die Spannung zu lösen, machte der Eintänzer danach einen Seitschritt, dem die Frau sofort mit ungezwungener Grazie folgte.
    »So mag ich das«, flüsterte sie, »langsam und entspannt. Sonst denken die noch, du hättest Angst vor mir.«
    Max näherte seinen Mund dem rechten Ohr der Frau. Er genoss das Spiel, trotz des Risikos.
    »Teufelsweib.«
    »Du musst es ja wissen.«
    Ihre Nähe, der feine Duft eines teuren Parfüms auf ihrer Haut und die winzigen Schweißperlen auf ihrer Oberlippe und am Haaransatz entfachten seine Begierde aufs Neue,weckten die noch sehr lebhafte Erinnerung an warmes, erschöpftes Fleisch, das Aroma befriedigter Wollust, den Schweiß der Frau, den er auch jetzt wieder unter dem dünnen Stoff ihres Kleides spürte. Es war spät, und das Lokal hatte sich geleert. Die drei Musiker spielten Chiqué , und auf der Tanzfläche waren nur noch zwei weitere Paare, die sich so freudlos bewegten wie Straßenbahnen auf Schienen: eine kleine rundliche Frau mit einem Jungen in Jackett und Hemd, aber ohne Kragen oder Schlips, und die slawisch anmutende Blonde, mit der Max beim letzten Mal getanzt hatte. Sie trug dieselbe geblümte Bluse und bewegte sich gelangweilt im Arm eines Mannes in Weste und Hemdsärmeln, der wie ein Arbeiter aussah. Manchmal kam es vor, dass die Paare nah aneinander vorbeitanzten und Max’ Blick für eine Sekunde den vollkommen gleichgültigen blauen Augen begegnete.
    »Dein Mann trinkt zu viel.«
    »Das geht dich nichts an.«
    Besorgt schielte er auf die Perlenkette, die sie an diesem Abend im Dekolletee des schwarzen, knapp knielangen Kleides trug. Mit einem ebenso beunruhigten Blick bedachte er den mit Flaschen, Gläsern und vollen Aschenbechern übersäten Tisch – La Ferroviaria war weder der richtige Ort für derartigen Schmuck noch um sich zu betrinken –, an dem Armando de Troeye saß und in Gesellschaft von Juan Rebenque, dem Mann, der zwei Tage zuvor mit seiner Gattin getanzt hatte, rauchte und sich große Gläser Gin mit Soda gönnte. Nach ihrem Eintreffen hatte der compadrón zuerst lange zu ihnen hinübergesehen und war dann an ihren Tisch gekommen, würdevoll, mit seinem kreolischen Schnauzbart, dem pomadisierten, schwarzglänzenden Haar und den dunklen, tückischen Augen unter dem Hut, den er niemals abnahm. Er hatte sich viel Zeit genommen, auf sie zuzuschlendern, mit diesem trägen, großspurigen Gehabe, das einmal so typisch für die Vorstädte gewesen war, einenqualmenden Stumpen im Mundwinkel, die Rechte in der Hosentasche und eine leichte Wölbung auf der linken Seite des engen Sakkos mit der Satinpaspelierung, wo das

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