Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
dich jetzt entsinnen könntest.«
In Ufernähe gab es kleine Cafés und Kneipen, auch einige anrüchige Lokalitäten. Unter der schmalen, glockenförmigen Krempe ihres Hutes betrachtete Mecha die Männer, die in Hemdsärmeln, Weste und Kappe müßig an den Tischen vor der Tür oder auf den Bänken der Plaza bei den Pferdekutschen und Lieferwagen saßen. An Orten wie diesem, hatte es vor Jahren bei Max zu Hause geheißen, lerne man die Eigenarten der Völker kennen: die Melancholie der Italiener, den Argwohn der Juden, die Brutalität und Gründlichkeitder Deutschen, die von Neid und mörderischem Hochmut besessenen Spanier.
»Sie steigen noch immer aus den Schiffen wie damals mein Vater«, sagte er. »Entschlossen, ihre Träume zu verwirklichen. Viele bleiben auf der Strecke, vermodern wie das Holz dieses Bootes, das im Morast feststeckt. Am Anfang schicken sie noch Geld an ihre Frauen und Kinder, die sie in Asturien, Kalabrien, Polen zurückgelassen haben. Und dann zehrt das Leben sie allmählich auf. Sie versinken im Elend einer Spelunke oder eines billigen Bordells. Sitzen allein am Tisch vor einer Flasche, die niemals Fragen stellt.«
Mecha beobachtete vier Wäscherinnen, die ihnen mit großen Körben voll feuchter Wäsche entgegenkamen: vorzeitig gealterte Gesichter, die Hände rotgescheuert und ausgelaugt. Max war, als wüsste er den Namen und die Lebensgeschichte jeder Einzelnen. Diese Gesichter, diese Hände, oder andere, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sahen, hatten seine Kindheit begleitet.
»Frauen, jedenfalls wenn sie hübsch sind, haben mehr Möglichkeiten«, fuhr er fort. »Natürlich auch nur eine gewisse Zeit lang. Ehe sie zu welken Ehefrauen und Müttern werden, wenn sie Glück haben. Oder beim Tango enden, wenn sie Pech haben. Und womöglich sind das sogar die glücklicheren, je nachdem ...«
Beim letzten Satz wendete sie sich ihm wieder gespannt zu.
»Gibt es hier viele Prostituierte?«
»Stell dir ein Land voller Einwanderer vor«, sagte Max und machte eine weitausholende Armbewegung, »die meisten davon alleinstehende Männer. Es gibt Organisationen, die sich darauf spezialisiert haben, Frauen aus Europa herzubringen. Die wichtigste ist eine jüdische, die Zwi Migdal. Spezialisiert auf Russinnen, Rumäninnen und Polinnen. Sie kaufen Frauen für zwei- oder dreitausend Pesos und amortisieren ihren Vorschuss in weniger als einem Jahr.«
Er hörte Mecha lachen. Hart, humorlos.
»Wie viel würde man für mich bezahlen?«
Er erwiderte nichts, und sie schwiegen ein paar Momente lang.
»Was erhoffst du dir von der Zukunft, Max?«
»So lange wie möglich am Leben zu bleiben, denke ich.« Er hob die Schultern und setzte aufrichtig hinzu: »Zu haben, was ich brauche.«
»Du wirst nicht immer jung und attraktiv sein. Was ist im Alter?«
»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Vorher muss ich mich noch um eine Menge anderer Dinge kümmern.«
Er sah kurz zu ihr hinüber. Sie ließ im Gehen den Blick schweifen, mit leicht geöffnetem Mund, angespannt wie ein Jäger auf der Pirsch, als wäre sie überrascht von all dem Neuen, das sich ihr bot, und als wollte sie jedes Bild unauslöschlich in ihr Gedächtnis einbrennen: die grün und blau gestrichenen, wellblechgedeckten Häuser aus Backstein und Holz zu beiden Seiten der rostigen Eisenbahngeleise, das Geißblatt, das aus den Innenhöfen über die Zäune und scherbenbewehrten Mauern kletterte, die Platanen und Kapokbäume mit ihren roten Blüten, die streckenweise die Straßen schmückten. Sie bewegte sich sehr langsam, betrachtete alles mit neugierigem Blick, aber unbewegter Miene, so unbefangen wie sie drei Stunden zuvor nackt durch Max’ Zimmer spaziert war, lässig wie eine Königin in ihrem Schlafgemach. Wobei sich vor dem hellen Rechteck des Fensters im Gegenlicht die lange, elegante Kontur ihres wundervoll biegsamen Körpers abgezeichnet und das weiche gekräuselte Haar zwischen ihren Schenkeln golden geschimmert hatte.
»Und du?«, fragte Max. »Auch du wirst nicht immer jung und schön sein.«
»Ich habe Geld. Ich hatte es schon vor meiner Ehe. Ein mittlerweile altes Vermögen, das sich selbst erhält.«
Die Antwort war ohne Zögern gekommen, in einem sachlichen Ton. Am Ende verzog sie verächtlich den Mund.
»Du würdest dich wundern, wie sehr Geld die Dinge vereinfacht.«
Er lachte auf.
»Ich kann es mir ungefähr vorstellen.«
»Nein. Ich glaube nicht, dass du das kannst.«
Sie traten beiseite, um einem Eislieferanten Platz
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