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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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steht aber nach einer halben Stunde vor einem hässlichen Sozialbau, vermutlich Wohnungen für die Werft- oder Raffineriearbeiter. Man klingelt. Z. Stancic. Marinas Freund. Nichts. Entweder ist die Gegensprechanlage kaputt oder es ist niemand zu Hause. Man setzt sich auf die Stufen vor den Eingang und wartet.
    Ein paar Minuten später öffnet sich die Tür und ein Typ Mitte |276| zwanzig schaut einen feindselig an. »Hast du bei mir geklingelt?« Es komme drauf an, sagt man, man suche nach Marina. »Und wer bist du?« Man sagt es ihm, und plötzlich ist er freundlich. »Komm, Alter, komm«, sagt er und drückt einem die Hand. »Freut mich«, sagt er, und man nickt. »Zeljko.« Der Aufzug funktioniert, riecht aber nach Urin. »Ist Marina da?«, fragt man und er sieht einen ernst an. »Sie hat mir von dir erzählt«, sagt er. »Du hast ihr das Leben gerettet, stimmt’s?« Man könne sich an so gut wie gar nichts erinnern, sagt man und er: »Es geht ihr nicht gut, Mann, gar nicht gut.«
    Der Aufzug hält im zwölften Stockwerk und man folgt Zeljko den Gang entlang zur Wohnung. Er fummelt den Schlüssel aus der Hosentasche und öffnet die Türe. Ein unangenehmer Geruch strömt einem entgegen. »Komm, komm rein«, sagt Zeljko und grinst.
     
    Das Wohnzimmer sieht katastrophal aus. Eine Junkiehöhle, denkt man, wie im Film. »Marina!«, ruft Zeljko. »Marina, ich hab eine Überraschung für dich!« Der Puls beschleunigt, man sieht nach allen Seiten, drei Türen, aus welcher wird sie gleich kommen, man solle sich setzen, sagt Zeljko und zieht einen am Ärmel zum Sofa. »Na los, setz dich! Marina!« Sie antwortet aus dem Raum zur Rechten und man springt auf. »Was? Was ist?«
    Man steht da und weiß nicht, wohin mit den Händen, als sie die Tür aufreißt und erstarrt. »Marina«, sagt man leise, mit einem Kloß im Hals. Sie reagiert nicht, starrt einen weiter an, nicht die Reaktion, auf die man gehofft hat.
    Obwohl man ihr ins Gesicht blickt, sieht man, dass aus dem linken Ärmel keine Hand herausragt, und als der Blick vom handlosen Ärmel wieder zu ihrem Gesicht zurückkehrt, hat sie Tränen in den Augen. Man geht langsam auf sie zu, unsicher, dann aber, überwältigt von der Anziehungskraft, schließt man sie in die Arme und sie heult los, eine Sekunde, zwei, dann heult man ebenfalls und man lässt seinen Tränen, den aufgestauten Gefühlen freien Lauf und weint, weint so hemmungslos wie noch nie im Leben.
     
    |277| Wie lange man mit Marina in der Umarmung dagestanden hat, kann man nicht abschätzen, ganze Leben gehen einem durch den Kopf, bis sie den ihrigen hebt und man ihr Gesicht in die Hände nimmt, mit den Daumen Tränen wegwischt und ihr, zerbrochen von ihrem Blick, einen Kuss auf die Lippen drückt, der alles verschwinden lässt, nichts existiert mehr, keine Körper, keine Welt, kein Krieg, es ist die Berührung zweier Seelen, außerhalb von Raum und Zeit, und als sich die Lippen vorsichtig, zögernd voneinander lösen, kehren langsam Geräusche und die Realität zurück, die in diesem Augenblick als reine Illusion erscheint und im Vergleich zu diesem Kuss, diesem Moment außerhalb dieser Existenz verblasst. »Kommt, setzt euch.«
    Zeljko. Man hat vergessen, dass es ihn gibt. Man dreht sich zu ihm um und er winkt einen zur Sitzgruppe. Marina wischt sich mit ihrer Hand die Tränen aus dem Gesicht, nimmt einen an der Hand und führt einen zum alten, durchgesessenen Sofa, wo man sich neben sie setzt. Zeljko, der sich im Sessel gegenüber plaziert hat, schaut abwechselnd einen selbst und Marina an, die einen immer noch an der Hand hält. Ein kurzer Moment peinlich berührten Schweigens, dann sagt Marina: »Ein Bier, du magst bestimmt ein Bier.« Und noch bevor man bejahen kann, ist Zeljko aufgesprungen und auf dem Weg in die Küche: »Bier, selbstverständlich! Marina, ein Glas Rotwein?« – »Ja, bitte«, sagt sie und sieht einen an. »Bitte verzeih die Sauerei hier drin, wir …« Man legt ihr den Finger auf den Mund, dann nimmt man ihr Kinn in die Hand. »Marina«, sagt man und wieder steigen beiden Tränen in die Augen. »Du …« – »Lass, bitte«, unterbricht sie einen. »Lass uns einen schönen Abend verbringen, ich bitte dich. Lass uns so tun, als wären wir im Urlaub in der Karibik.« Man lächelt und klimpert mit den Augenlidern, um die Tränen zurückzuhalten. »Okay, Urlaub, Karibik.«
     
    Sie sei auf Heroin, sagt sie aus heiterem Himmel und man sitzt mit offenem Mund da, vor den Kopf gestoßen,

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