Drimaxid 01 - Die Zelle
wie die körperlosen Hände? Ob sie gerade nach ihm griffen? Ihn verspotteten? Mit ihren deformierten Krallenhänden auf ihn deuteten?
Irgendwie wirkte der stählerne Würfel durch die absolute Finsternis gar nicht mehr so klein. Aus der vier Meter im Quadrat messenden Zelle war ein Ozean der Nacht geworden. Ein Universum der Dunkelheit. Adam bemerkte, dass es weder Sonnen, noch Planeten gab. Die schwarzen Scherenschnittmänner hatten sie alle ausgelöscht, sie vom Himmel gepflückt, wie die Ernteroboter die reifen Äpfel von den genmanipulierten Bäumen, um daraus leckeren Most zu machen.
Adam verfiel in einen tranceartigen Zustand. Ein Teil seines Verstandes schaltete ab, während ein anderer weiterzählte. Emsig. Unentwegt. Ein fleißiges Bienchen beim Honigsammeln.
Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war sein Atem, der auf Grund der Hitze schwerfälliger, behäbiger geworden war. Die letzten Atemzüge eines Sterbenden.
»… 4354 … 4355 … 4356«, zählte er und hörte auf zu zählen.
4356 Sekunden , wiederholte sein Verstand. Das macht eine Stunde, 12 Minuten und 36 Sekunden.
Ein neuer Abgrund hatte sich aufgetan. Adam betrat eine neue Dimension des Bösen. Aus dem Kubus des Schreckens wurde die Dunkelzelle des Grauens .
Der Schrank hat dich wieder , hallte es durch seinen Kopf.
Dann übermannte ihn die Schwäche und er brach zusammen.
*
Adam wurde von Geräuschen geweckt. Nicht vom Kriegslärm, von explodierenden Tretminen und Splittergranaten oder vom stotternden Stakkato der automatischen Maschinengewehre, aber auch nicht vom mechanischen Surren der Kameras, die zurückgekommen waren um ihre Folter fortzusetzen, oder vom statischen Knistern, mit dem sich der Schutzschild auflud und der gleißende Funkenregen entstand.
Es war das unheimliche Kratzen. Dieses lang gezogene Scharren, als würden … scharfe Krallen über Metall ritzen. Oder als würde eine Tür, die vom Wind aufgestoßen wird und deren Scharniere nicht geölt sind, erbärmlich quietschen. Wie der Schrei einer Geisterfrau.
Adam duckte sich automatisch, weil er befürchtete, dass etwas auf ihn herabstürzen würde. Ein abgebrochenes Rohr oder etwas Derartiges. Aber in der Zelle gab es keine Rohre. Nur die blanken Metallwände. Sechs gleich große Flächen, vier auf vier Meter, die an den Kanten zusammengeschweißt worden waren.
Die Geräusche waren lauter als beim ersten Mal. Näher. Adam erinnerte sich daran, dass er damals gedacht hatte, jemand oder etwas würde über den Würfel steigen. Nun schien es eher so zu klingen, als versuchte jemand sich zu ihm durchzugraben. Als ob tödliche Schaufelhände sich durch das unverwüstliche Metall wühlen.
Adam erhob sich. Er stand wacklig da und musste sich schwer gegen die Wand stützen. Seine Beine waren schwach. Er hatte lange gesessen. Ob sich seine Muskeln bereits zurückgebildet hatten? Ob er in einer Woche überhaupt noch stehen konnte?
Wütend verscheuchte er die störenden Gedanken. So lange würde er ohne Flüssigkeit und feste Nahrung sowieso nicht an diesem Ort überleben. Aber wer weiß, vielleicht hatten »sie« etwas in die Luft gemischt, was ihn am Leben hielt, sodass sie ihre grausamen Studien weiter durchführen konnte.
Adam pochte mit der Faust gegen die Wand. Das Metall schepperte dumpf.
Klopf klopf. Wer ist da?
Wer kennt das bekannte Kinderspiel nicht?
Klopf klopf. Wer ist da?
Das lang gezogene Scharren antwortete: Ich bin ein schreckliches Monstrum, das dir den Kopf von den Schultern reißen und ihn auffressen wird.
Klopf klopf. Wer ist da?
Kein besonders gelungener Zeitvertreib, wenn ein erwachsener Mann alleine, hungernd, durstend und schwitzend in einem winzigen, stockdunklen Metallwürfel hockt und nur seine Fantasie hat. Die grausamste Folter überhaupt. Das Eingesperrt-Sein mit den eigenen, sadistischen Gedanken.
Klopf klopf. Wer ist da?
Adam brach in ein hysterisches, ohnmächtiges Gelächter aus. Er lachte solange, bis er Blut schmeckte und glaubte sein Adamsapfel, der wild auf und ab hüpfte, würde aus seiner Kehle springen. Er lachte, so wie Psychopathen lachen, die völlig den Verstand verloren haben. Lachte, bis ihm Tränen in die Augen kamen und sich mit dem Schweiß auf seiner Wange vermischten.
Schließlich sank er erschöpft zusammen. Er fiel nicht in Ohnmacht, aber er war der Bewusstlosigkeit näher als dem Wachzustand. Die Dunkelheit schien wie mit Händen nach ihm zu greifen. Diese besaßen keinen Körper, hatten aber dennoch
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