Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
hätte ich Sie nicht aufgestellt.« Politische Farbenlehre.
Otto hat mir auch verraten, was seine linke Sozialisierung so in ihren Grundfesten erschütterte: »Waldi, kannst du dir das vorstellen? Ich lebe hier mit einem Doppelagenten zusammen.« Sein Manager Lemke hatte bekanntlich bis 1975 als Doppelagent für den Bundesverfassungsschutz und den KGB gearbeitet und den Sowjets Papiere über das Innenle ben der Bremer SPD zugespielt, brisante Geschichte. Lemke stellte sie so dar: Er sei 1970 vom KGB kontaktiert worden, meldete sich als braver Staatsbürger beim Hamburger Verfassungsschutz und lieferte Moskau in Absprache mit der Behörde nur Belangloses. Lemke beteuerte, es seien nur Informationen gewesen, die »in jedem Adress- oder Telefonbuch nachzulesen waren«. Spielmaterial also. Das hatte Otto schwer mitgenommen. Tatsächlich dürfte hier der Beginn seiner Abwanderungsgedanken aus Bremen Richtung München liegen. Wäre eine starke Schlagzeile gewesen: »Otto zu Bayern – KGB schuld«. Und nicht einmal falsch.
Weil das Verhältnis zwischen München und Bremen (bis auf Uli und Lemke) ziemlich entspannt war, wurde vor den Spielen natürlich auch tüchtig geflachst. Ungefähr 1993 habe ich Willi Lemke einmal angekündigt: »Das nächste Mal gegen Bayern kriegt ihr richtig eine auf den Rüssel.« Darauf Lemke in seinem norddeutschen Dialekt: »Und wenn nihi-ch …?« Ich zurück: »Sucht’s euch was aus, passiert eh nicht.« Darauf Lemke zu mir: »Dann kommste zum nächsten Bayern-Spiel in Bremen in der Lederhose.« Die Bremer hat ten einen gewissen Lederhosenfetisch entwickelt, nichts Erns tes – aber für sie war die Lederhose das Sinnbild christsozialer bayerischer Fußballallmachtsfantasien.
Aber bittschön, wenn ihr meint, gern, dann machen wir das halt so. Wette abgeschlossen, kein Problem. Meine Bremer Freunde würden mich eh niemals in der Lederhose sehen – denn: Sie kriegen ja eine auf den Rüssel vom FC B . Von wegen. Wer sich im nächsten Spiel eine blutige Nase holte, waren die Münchner. Und pünktlich zwei Wochen vor dem nächsten Bayern-Spiel in Bremen kam natürlich der Anruf von Lemke, dem Bremer Lederwarenfetischisten: »Hör mal, wir wollen dich nur erinnern, vergiss die Lederhose nich. Wir freuen uns schon.« O mein Gott! Mir fiel ein: Herrschaft, ich habe ja nicht einmal eine Lederhose. Weil ich eh raus musste an die Säbener Straße, bin ich rein in Ulis Büro und habe kräftig geschimpft über Trainer Erich Ribbeck und seine Mannschaft: »Wegen eurer Gurkentruppe muss ich mir jetzt auch noch eine Lederhose kaufen und mich in Bremen zum Affen machen.« Uli: »Wieso?« Ich: »Weil ich mit den Fischköpfen da oben gewettet habe, dass die nie gegen euch gewinnen. Ihr habt es vermasselt, und jetzt muss ich die Wette einlösen.« Uli grinste: »Vielleicht passt dir ja meine …«
Gute Idee, die Größe könnte hinkommen, wir haben ja immer ziemlich parallel zugenommen. Also hat Uli seine Sekretärin Elisabeth Hofmann heim nach Ottobrunn zum Lederhosenholen geschickt. Sie hat perfekt gepasst. Ich danach runter in die Kabine zum Ribbeck: »Sag, Erich, wäre das nicht ein Akt der Solidarität, dass ihr mal wieder alle in Lederhosen nach Bremen fahrt? Ihr seid schließlich schuld.« Damals haben sie das noch manchmal gemacht. Aber Erich war zu feige: »Was ist, wenn wir verlieren, die Häme, ach nee …« Außerhalb des Spielfelds war er auch nicht mutiger als auf dem Rasen. Da wusste ich eigentlich schon: Die kriegen wieder eine auf die Nuss. Jedenfalls bin ich schon mit Ulis Lederhose zur Mannschaft in den Flieger nach Bremen gestiegen. Wenn schon, denn schon. Am Flughafen in München großes Hallo um Oktoberfest-Waldi. Klaus Augenthaler, damals Kotrainer, schaute ganz neidisch auf meine Krachlederne und meinte: »Mensch, Waldi, hättest halt was gesagt, dann hätten wir alle die Lederhosen angezogen.« Ich sag zu ihm, dass ich beim Ribbeck war, der sich aber nicht getraut hat. Darauf der Auge: »Mei, san mir feige Hund …«
Im Weserstadion hatte Willi Lemke alles so für mich vorbereitet, wie sich der Hanseat das Oktoberfest vorstellt: mit Armdrücken, Dirndln, überall Fotografen, Riesenwirbel. Die bessere Bremer Gesellschaft stand um mich herum und hat mich bestaunt wie ein Weltwunder, einen Exoten, ein Wesen aus dem All, ein Alien. Die merkwürdige Faszination, die eine bayerische Hirschlederne aufs norddeutsche Gemüt ausübte, war offenbar erheblich. Und Waldi wollte schon wieder
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