Drop City
Nervenklinik auf längere Ausflüge mit Übernachtung in der Natur mitnehmen konnte, doch der Traum war nie verwirklicht worden, aus Gründen, die so viele Träume sterben lassen: mangelnde Mittel. Das vordere halbe Dutzend Sitzreihen hatte er intakt gelassen, und auf jeder konnten drei Erwachsene sitzen oder einer liegen; ganz hinten gab es einen Sperrholzverschlag mit einer Toilette aus Edelstahl. Wie Premstar erzählte – diese Information gab sie aus dem Mundwinkel geflüstert weiter, als Norm außer Hörweite war –, hatte der Psychologe den Bus als Totalschaden billig bekommen, nach einer Kollision mit einem Tanklaster, bei der drei Vorschulkinder jämmerlich verbrannt waren. Von dem Unfall war das Chassis einigermaßen verzogen, obwohl der Psychologe es zu reparieren versucht hatte, und zwar mit Hilfe eines weiteren alten Highschool-Kumpels, der inzwischen Schweißer war, trotzdem würden sie damit wohl leben müssen: die Kiste zog stark zur Seite, auch wenn man brav geradeaus fuhr. Und egal, was man mit Hilfe von Sprays und Lack und Wunderbäumen probierte, ein gewisser Duft nach verkohltem Vinyl – und womöglich Schlimmerem – war nicht aus dem Inneren zu vertreiben.
Als Jiminy den Bus in jener ersten Nacht sah, da zog sich der Regen gerade langsam in einen Nebelschleier zurück, und ein abgetakelter Mond kletterte über die Bäume, also stapfte er barfuß durch den Schlamm und umarmte das kalte Metall der Kühlerhaube wie lebendes Gewebe. »Magic bus« , murmelte er, und dann begann er es halblaut vor sich hin zu singen: »Magic bus, Magic bus, hey Magic bus, hey ...« Marco hielt eine Taschenlampe für Mendocino Bill, der den Motorraum begutachtete, Maulschlüssel in der einen, Schraubenzieher in der anderen Hand, und Alfredo, der nichts Besseres zu tun wußte, führte die Aufsicht. Reba hatte im Bus eine Campinglampe aufgehängt, und fünf oder sechs Frauen – darunter auch Star – räumten auf, wischten mit dem Schwamm über die Sitze, mit dem Mop über den Boden, und planten bereits die Platzverteilung.
»Wißt ihr, was wir machen könnten?« rief Jiminy, die Wange an den Kotflügel gepreßt. »Wir könnten das Ding anmalen. So wie Ken Kesey, so wie die Pranksters. Mit Mandalas, Peace-Zeichen, irren Gesichtern und Fischen – überall Fische, so wie Peter Max sie zeichnet, mit Luftblasen aus dem Maul. Und Delphinen. So in der Art. Die werden ausflippen, von hier bis nach Nome, scheiße noch mal!«
Mendocino Bill knurrte zustimmend aus der Tiefe seiner Kehle, aber es klang nicht allzu enthusiastisch – schon wieder so eine pubertäre Phantasie, und wieso konnten sie eigentlich nicht einfach Vereinigte Washo-Schamanen in knallharten großen schwarzen Lettern auf beide Seiten des Busses schreiben?
»Ich will euch weiß Gott nicht vorschreiben, was ihr tut«, warf Alfredo ein, »aber wir müssen die Grenze zu Kanada überschreiten – sogar zweimal –, und da wollen wir ja nun nicht unbedingt als Freakparade anrücken, versteht ihr?« Er sprang von der Bank, auf der Bill sich abstützte, und sah Jiminy scharf an. »Du zum Beispiel, Jiminy – so kennen wir dich. Aber wie lautet dein richtiger Name? Ich meine, wie er auf der Einberufung stand.«
Jiminy senkte den Blick. »Paul Atkins.«
»Paul Atkins? Ja, na, das werden sie dann wohl an der Grenze hören wollen, und da solltest du auch besser deinen Schrieb von der Militärdienstbehörde dabeihaben. Am besten noch eine Geburtsurkunde dazu. Worauf hast du dich berufen, untauglich aus Gewissensgründen?«
Jiminy wirkte gekränkt, ja empört, und Marco wollte eigentlich was sagen, tat es aber nicht. »So einen Scheiß fragen die überhaupt nicht an der Grenze«, sagte Jiminy. »Nur, ob man US-Staatsangehöriger ist, oder? Und wie lange man in Kanada bleiben will.«
»Hör mal zu, Alter«, gab Alfredo zurück, »wahrscheinlich bist du noch auf die Grundschule gegangen, als ich zum erstenmal nach Kanada rüber bin – das war in Ontario damals –, und kann schon sein, daß das seinerzeit recht locker ablief, aber glaub mir, jetzt mit dem Krieg und den vielen Wehrdienstverweigerern – die ich übrigens total unterstütze, also versteh mich nicht falsch –, da wird das nicht so einfach werden, also müssen wir es richtig anfangen. Kapier das endlich, Mann: das hier ist kein Spielchen, kein Rockfestival über drei Tage, wo du einfach nach Hause fährst, wenn’s vorbei ist. Wir reden vom Überleben – die vertreiben uns hier von der Ranch ,
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