Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
Sie nur“, sagte der
    Prokurist im Nebenzimmer, „er dreht den Schlüssel
    um.“ Das war für Gregor eine große Aufmunterung;
    aber alle hätten ihm zurufen sollen, auch der Vater und 
    die Mutter: „Frisch, Gregor“, hätten sie rufen sollen,
    „immer nur heran, fest an das Schloß heran!“ Und in der
    Vorstellung, daß alle seine Bemühungen mit Spannung
    verfolgten, verbiß er sich mit allem, was er an Kra
    auringen konnte, besinnungslos in den Schlüssel. Je 
    nach dem Fortschreiten der Drehung des Schlüssels um-
    tanzte er das Schloß; hielt sich jetzt nur noch mit dem
    Munde aufrecht, und je nach Bedarf hing er sich an den
    Schlüssel oder drückte ihn dann wieder nieder mit der
    ganzen Last seines Körpers. Der hellere Klang des end- 
    lich zurückschnappenden Schlosses erweckte Gregor
    förmlich. Aufatmend sagte er sich: „Ich habe also den
    Schlosser nicht gebraucht“, und legte den Kopf auf die
    Klinke, um die Türe gänzlich zu öffnen.
    Da er die Türe auf diese Weise öffnen mußte, war sie 
    eigentlich schon recht weit geöffnet, und er selbst noch
    nicht zu sehen. Er mußte sich erst langsam um den einen
    [  ]
    Türflügel herumdrehen, und zwar sehr vorsichtig, wenn
    er nicht gerade vor dem Eintritt ins Zimmer plump auf
    den Rücken fallen wollte. Er war noch mit jener schwie-
    rigen Bewegung beschäigt und hatte nicht Zeit, auf
     anderes zu achten, da hörte er schon den Prokuristen ein
    lautes „Oh!“ ausstoßen – es klang, wie wenn der Wind
    saust – und nun sah er ihn auch, wie er, der der Nächste
    an der Türe war, die Hand gegen den offenen Mund
    drückte und langsam zurückwich, als vertreibe ihn eine
     unsichtbare, gleichmäßig fortwirkende Kra. Die Mut-
    ter – sie stand hier trotz der Anwesenheit des Prokuri-
    sten mit von der Nacht her noch aufgelösten, hoch sich
    sträubenden Haaren – sah zuerst mit gefalteten Händen
    den Vater an, ging dann zwei Schritte zu Gregor hin und
     fiel inmitten ihrer rings um sie herum sich ausbreitenden
    Röcke nieder, das Gesicht ganz unauffindbar zu ihrer
    Brust gesenkt. Der Vater ballte mit feindseligem Aus-
    druck die Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer
    zurückstoßen, sah sich dann unsicher im Wohnzimmer
     um, beschattete dann mit den Händen die Augen und
    weinte, daß sich seine mächtige Brust schüttelte.
    Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer, sondern
    lehnte sich von innen an den festgeriegelten Türflügel, so
    daß sein Leib nur zur Häle und darüber der seitlich
     geneigte Kopf zu sehen war, mit dem er zu den anderen
    hinüberlugte. Es war inzwischen viel heller geworden;
    klar stand auf der anderen Straßenseite ein Ausschnitt
    [  ]
    des gegenüberliegenden, endlosen, grauschwarzen Hau-
    ses – es war ein Krankenhaus – mit seinen hart die Front
    durchbrechenden regelmäßigen Fenstern; der Regen fiel
    noch nieder, aber nur mit großen, einzeln sichtbaren
    und förmlich auch einzelnweise auf die Erde hinunterge- 
    worfenen Tropfen. Das Frühstücksgeschirr stand in
    überreicher Zahl auf dem Tisch, denn für den Vater war
    das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages, die er
    bei der Lektüre verschiedener Zeitungen stundenlang
    hinzog. Gerade an der gegenüber liegenden Wand hing 
    eine Photographie Gregors aus seiner Militärzeit, die ihn
    als Leutnant darstellte, wie er, die Hand am Degen,
    sorglos lächelnd, Respekt für seine Haltung und Uni-
    form verlangte. Die Tür zum Vorzimmer war geöffnet,
    und man sah, da auch die Wohnungstür offen war, auf 
    den Vorplatz der Wohnung hinaus und auf den Beginn
    der abwärts führenden Treppe.
    „Nun“, sagte Gregor und war sich dessen wohl be-
    wußt, daß er der einzige war, der die Ruhe bewahrt
    hatte, „ich werde mich gleich anziehen, die Kollektion 
    zusammenpacken und wegfahren. Wollt Ihr, wollt Ihr
    mich wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen,
    ich bin nicht starrköpfig und ich arbeite gern; das Reisen
    ist beschwerlich, aber ich könnte ohne das Reisen nicht
    leben. Wohin gehen Sie denn, Herr Prokurist? Ins Ge- 
    schä? Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten?
    Man kann im Augenblick unfähig sein zu arbeiten, aber
    [  ]
    dann ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an die frühe-
    ren Leistungen zu erinnern und zu bedenken, daß man
    später, nach Beseitigung des Hindernisses, gewiß desto
    fleißiger und

Weitere Kostenlose Bücher