Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Mathys keuchend vor sich sah.
„Den Trank, Anouk, vom weißen Hirsch, jetzt!“, brachte er außer sich vor Sorge um seinen Freund gerade noch heraus.
„Ist es so schlimm?“, fragte sie, „wir haben nur den einen!“
„Ich weiß.“ Mathys keuchte immer noch. „Jan sagt, wenn du es nicht sofort tust, dann stirbt Daan.“
„Es ist gut, ich hole den Trank und komme“, gab Anouk zurück.
„Ich muss zu Dendra, ich komme nach“, rief Mathys ihr hinterher. Dann rannte er wieder los, sein Ziel war die Dryadenquelle, an der Dendras Eiche stand. Mathys sprintete fast den gesamten Weg zur Quelle. Er hatte keinen Blick für die Vögel und die Drachen, für die leuchtend blauen Blumen am Boden, er hatte nur ein Ziel: Er wollte tun, was in seinen Kräften stand, um seinem Freund zu helfen. Die Quelle war nicht mehr weit, er begann laut Rias Namen zu rufen. “Ria! Riiaaa!“, Mathys ganze Angst lag in seiner Stimme. Plötzlich tauchte wie ein Schatten Dendra neben ihm auf.
„Was störst du die Ruhe der Eiche junger Freund?“, fragte Dendra mit ihrer glockenartigen Stimme.
„Daan“, japste Mathys, „es geht um Daan.“
Dendra schloss die Augen. Nur einen Lidschlag später war Ria neben ihr.
„Mutter?!“ Ria sah sie fragend an. Erst dann bemerkte Ria Mathys.
„Daan!“, sagte Mathys nur.
Ria spürte die Qual in seiner Stimme. Ria selbst war seit dem vorigen Abend seltsam unruhig gewesen. Sie hatte es auf die allgemeine Traurigkeit geschoben, welche immer wieder in Wellen von ihr Besitz ergriff.
„Gestern?“, fragte sie. Mathys nickte nur stumm. Ria blickte ihre Mutter an. „Geh!“, sagte Dendra. Ria lief leichtfüßig los und hatte Mathys vor dem Burgplatz längst abgehängt, so dass sie auf ihn warten musste, denn sie wusste gar nicht, wo Daan lag. Unbestimmt meinte sie, ihn in Richtung der Burg zu spüren, aber das Gefühl war irritierend schwach. Sonst hatte sie die Verbindung zwischen Daan und sich immer wie einen breiten Fluss gefühlt, wenn er in der Nähe war. Jetzt waren es eher kleine unzusammenhängende Rinnsale.
„Schnell“, drängte Mathys voller Angst um Daan, „es geht ihm gar nicht gut.“
In der Burg war die Furcht nicht geringer. Leung Jan, Chris und Anouk standen um das Bett herum und warteten darauf, dass Daan wach wurde. Das Mittel gegen die Schmerzen hatte ihn so schläfrig gemacht, dass eine Verabreichung des Heiltrankes wie bei einem Bewusstlosen zum Ersticken geführt hätte. Also hatte Leung Jan Daan etwas unter die Zunge geträufelt, das ihn wach machen sollte.
Gerade als Mathys und Ria durch die Tür traten, schlug er stöhnend die Augen auf. Sein erster Blick fiel auf Ria, und ein kurzes Lächeln zog matt über sein inzwischen grau-blasses Gesicht. Ria durchfuhr ein kurzer freudiger Schreck – Daan hatte sie das erste Mal seit ihrer Erklärung angelächelt – bis ihr der Ernst der Lage wieder bewusst wurde. Sie konnte, wie alle Dryaden, den Fluss des Lebens spüren. Daans Lebensenergie war am Versickern. Leung Jan lenkte Daans noch schwache Aufmerksamkeit, die inzwischen seinem Freund Mathys galt, auf sich. „Trink das!“, befahl er Daan. Gehorsam schluckte Daan das heilende Getränk aus dem an seine Lippen gesetzten Fläschchen. Im Bemühen, schnell den Heiltrank in Daans Körper zu bringen, kippte Leung Jan zu ungeduldig. Daan hustete stark, und ein Teil der kostbaren Tropfen ging auf die Bettdecke.
„Verdammt!“, schimpfte Leung Jan erschrocken. „Hoffentlich reicht es trotzdem“, fügte er dann hinzu. Den Rest des Fläschchens gab er in ganz kleinen Schlückchen frei, so dass Daan nicht noch einmal husten musste.
Alle warteten gespannt. „Die Wirkung müsste nach einer Minute einsetzen“, sagte Leung Jan und nestelte den Verschluss des nutzlos gewordenen Fläschchens zu. Die Minute verging, aber nichts geschah.
Draußen vor der Burg dachte keiner an den nächsten Unterricht. Eigentlich hätte Reiten auf dem Plan gestanden; Julie hatte bisher keine einzige Stunde verpasst. Jetzt hätte sie gern ein Jahr lang all ihre Reitstunden ausfallen lassen, wenn sie Daan damit hätte helfen können. Es kamen keine Neuigkeiten aus der Burg. Dieser Umstand zusammen mit Mathys plötzlichem Verschwinden und Wiederauftauchen an der Seite von Ria, dazu Anouk, die ohne zu grüßen an ihnen vorbeigehastet war, zeigte den Anwärterinnen und ihren Gefährten deutlich, dass es nicht gerade zum Besten stand.
Leung Jan seufzte. Daan hatte die Augen ermattet
Weitere Kostenlose Bücher