Du bist das Boese
äußerst kühl. »Ich dachte, wir hätten uns alles gebeichtet«, sagte Alessandrini sofort. »Machen wir einen kleinen Spaziergang. Vielleicht tut das Ihrem Geist gut, der hoffentlich in besserer Verfassung ist als Ihr Äußeres.«
Während sie gemessenen Schrittes losgingen, versuchte Balistreri, seine ganze Kraft zusammenzunehmen. Er war nur aus einem einzigen Grund hier und durfte sich weder von seiner Abneigung gegen den Kardinal noch von der prächtigen Kuppel, die Menschen aus aller Welt bewunderten, ablenken lassen.
»Eminenz, Sie haben nicht viel Zeit. Und Fiorella Romani hat noch weniger.«
»Ich habe Ihnen gestern schon alles gesagt, Dottor Balistreri.«
»Marius Hagi hat uns mitgeteilt, dass Fiorella Romani heute Nachmittag sterben wird. Es sei denn, Sie sagen mir …«
Alessandrini hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und blieb vor dem Altar mit dem Jüngsten Gericht stehen. Die dominante Christusfigur, der ruhige gebieterische Gestus, der strenge Blick auf die Verdammten, die in die Unterwelt hinabstürzen. Und neben ihm die Jungfrau Maria mit der resignierten Geste derjenigen, die nicht mehr ins Geschehen eingreifen kann, den sanften Blick auf die Seligen gerichtet, die ins Himmelreich aufsteigen.
»Was sehen Sie, Dottor Balistreri?«, fragte Alessandrini.
»Ich sehe einen furchteinflößenden Gott. Und neben ihm eine bekümmerte Frau, die nichts zu entscheiden hat. Ich sehe erschrockene arme Teufel, auf der einen wie auf der anderen Seite. Das mag Gerechtigkeit sein, aber Erbarmen sehe ich keins.«
Alessandrini wirkte nachdenklich. »Früher wären Sie dafür auf dem Scheiterhaufen gelandet, Balistreri. Auch das Böse ist Teil des göttlichen Plans. Christen wie Gina Giansanti wissen und akzeptieren das, weil sie es als Prüfung verstehen. Bis zu dem Zeitpunkt, den Sie hier auf diesem Fresko sehen, wenn Gott über uns richtet.«
Eine Nachhilfestunde in Theologie. Er will mir nicht helfen. Oder er kann nicht. Das ist also der göttliche Plan!
Balistreri zog den Umschlag aus seiner Tasche und zeigte ihm die Fotos. Elisa, Samantha, Nadia, Selina, Ornella. Verbrennungen, Blutergüsse, ins Fleisch eingeritzte Buchstaben.
Alessandrini rührte sie nicht an, wandte sich brüsk ab und schritt auf den Ausgang zu. Balistreri sah verzweifelt auf die Uhr, seine Zeit war abgelaufen. Er erblickte den Zeremonienmeister, der mit der Gattin des ausländischen Staatschefs an der Tür wartete. Als der Kardinal sich schon in einiger Entfernung befand, drehte er sich noch einmal um.
»Erzählen Sie Marius Hagi von unserem Gespräch. Und sagen Sie ihm, er soll sich den Angelus anhören.«
Als er mit Corvu erneut ins Regina Coeli fuhr, rief er Floris auf dem Handy an, um ihn über den Verlauf des Gesprächs zu informieren.
»Der Regierungschef und der Innenminister machen sich große Sorgen«, sagte der Polizeipräsident.
»Wegen ihrer Beziehungen zum Vatikan vielleicht, aber bestimmt nicht wegen Fiorella Romani.«
»Balistreri, ich klebe nicht an meinem Stuhl. Wir haben schon zu viele Tote zu beklagen, sinnlose Polemik hilft uns nicht weiter. Bieten Sie Hagi an, was immer er will.«
»Dieser Mann stirbt bald, Signor Questore. Wir haben ihm nichts zu bieten als die Wahrheit.«
»Was wollen Sie tun?«
»Ich kann nur auf Cardinale Alessandrini hoffen und Hagi ausrichten, was er gesagt hat.«
»Aber er hat doch gar nichts gesagt!«, widersprach Floris.
»Lassen wir das Hagi beurteilen.«
Die Schmierereien an den Hauswänden forderten dazu auf, die Roma-Lager abzufackeln. Manche Slogans trugen die Unterschrift sogenannter Bürgerbewegungen. Wahlplakate propagierten drastische Lösungen.
Wenn Fiorella Romani stirbt, gibt es hier ein Blutbad. Hagi hat das immer gewusst. Es ist Teil des Plans.
Um halb zwölf kamen sie im Gefängnis an. Hagi wartete im Vernehmungsraum. Vor einem Fernseher, wie von Balistreri angeordnet.
Balistreri berichtete ihm detailliert von den Alibis, von Valerios Zettel und von Cardinale Alessandrinis Auslassungen über das Jüngste Gericht .
Hagi nickte zufrieden, als er von Valerio Bonas Anruf im Vatikan hörte, doch die Zusammenfassung der Unterhaltung mit Alessandrini erregte noch größeres Interesse bei ihm. Mit unverhohlener Genugtuung ließ er sich die Sache zweimal wiederholen.
Dann wandte er sich an Balistreri. »Und weiter? Die Antwort auf meine Frage?«
»Die bekommen Sie nach dem Angelusgebet des Papstes.«
»Dann geben Sie mir eine Zigarette.« Balistreri
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