Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
für Eltern und Kinder sein. Grundsätzlich ist es gerade in dieser Zeit wichtig, jedes Kind mit seinen Bedürfnissen zu sehen und Eigenschaften individuell zu akzeptieren. Die Jugendlichen stehen in dieser Phase besonders im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. So ist die Pubertät (nach der sogenannten Trotzphase) eine weitere Abnabelungsphase, eine Zeit der Ablösung und wachsenden Autonomie. Das innere Hin- und Hergerissensein zwischen dem Gefühl der Abhängigkeit und dem Wunsch nach Autonomie löst heftige Gefühlsschwankungen in der Innenwelt von Jugendlichen aus und ist häufig mit tiefer Unsicherheit verbunden. Neben der Geschlechtsreife, die mit hormonellen Umstellungen verbunden ist, ist die tief greifendste Veränderung während der Pubertät das sich wandelnde Bindungsverhalten zu den Eltern, denen gegenüber die Jugendlichen kaum noch oder gar keine emotionale Abhängigkeit mehr empfinden. Diese Veränderung im Bindungsverhalten erleben Eltern oft als Verlust. Das grundsätzliche Bindungsbedürfnis der Jugendlichen geht aber nicht verloren, sondern orientiert sich nur neu! Sie erleben von nun an die Beziehung zu Gleichaltrigen als wichtig und suchen Geborgenheit, Zuwendung, unzerstörbare Beziehungen bei Freunden, die so zu ihnen halten, wie es vorher die Eltern getan haben. Zum einen erleben Eltern diese Entwicklung oft als Kränkung; zudem kommt es zu Konflikten, weil die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Eltern nach wie vor gegeben ist. Leicht verstricken sich Eltern so in Machtkämpfe, statt in einen Dialog mit ihren Kindern zu gehen. Die Jugendlichen wollen (und müssen) mehr Verantwortung für ihr Leben übernehmen und ihre Grenzen anders definieren. So werden die Rollen innerhalb der Familie neu bestimmt. Wie heftig die Turbulenzen in dieser Zeit ausfallen, hängt stark davon ab, wie gut Eltern die Fähigkeit entwickeln können, mit ihrer neuen Rolle umzugehen; auch die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung in den zurückliegenden Jahren spielt dabei eine Rolle.
Die Pubertät ist eine Zeit, in der Eltern scheinbar in den Hintergrund treten, ihre unaufdringliche Präsenz jedoch gefragt ist. Der Jugendliche braucht sein Zuhause als sicheren Hort, an den er zurückkehren kann, wenn etwas nicht so gut läuft wie gedacht. Er muss nach Hause kommen und Unterschlupf suchen dürfen, wenn er seine Möglichkeiten und Kompetenzen »draußen« überschätzt hat. Es ist gut, wenn diese Tür immer offen steht und wir Jugendlichen Mut machen können. Wenn sie uns Eltern gegenüber nun weniger offen sind, stellt dies kein Misstrauensvotum dar. Für manche Themen sind jetzt Freunde da, aber für andere (Beruf, ethische und moralische Fragen) sind Eltern wichtige Ansprechpartner. Die Position der Eltern ist gefragt! Auch wenn Kinder es nicht zugeben oder anders handeln, als Eltern es sich wünschen: Die Meinung ihrer Eltern ist ihnen wichtig. Ein schönes Bild ist für mich: Eltern sind für die Jugendlichen wie eine Art Basislager beim Gletscheraufstieg. Eine vertrauensvolle Beziehung und der wertschätzende Dialog bietet eine Grundlage für die Jugendlichen, um sich auszuprobieren.
Warum haben wir Eltern oft solche Zweifel, und woher rührt diese elterliche Unsicherheit und Sorge? Im Alltag mit den Kindern (nicht nur mit älteren) haben wir häufig eigene (oft zu) hohe Erwartungen an uns und präzise Vorstellungen davon, wie sich das Familienleben gestalten soll. Wir lassen uns schnell verunsichern von kleinen Ereignissen, wenn im Alltag mit unseren Kindern etwas mal nicht so läuft, wie wir es geplant haben. Auch von Stimmen, die von außen (Schule, Nachbarn, Bekannte) an uns herandringen und klagen, wie schwierig doch alles mit Kindern heutzutage sei und was eigentlich wünschenswert wäre, lassen wir uns oft irritieren. So sind wir dann mit diesen vermeintlichen »Störungen« im Alltag häufig so beschäftigt, dass wir das Wesentliche vergessen und das übersehen, worum es eigentlich geht: nämlich darum, uns an unseren Kindern zu freuen! Zu freuen darüber, wie sie sind, zu sehen, was sie sind, und uns darüber zu freuen, was sie alles schaffen und wie viel Kraft sie für das Leben mitbringen.
Häufig fehlt uns im Alltag Gelassenheit. Dauernd fühlen wir uns gefordert, dabei gibt es für Eltern nicht ständig etwas zu tun! Wir dürfen uns auch mal entspannt zurücklehnen und unseren Kindern und deren Entwicklung mit Genuss zuschauen.
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