Du lebst nur zweimal
wissen, Bondo-san? Kennen Sie diese Leute?«
James Bond lachte. Es war ein bitteres Lachen. Selbst für Bond hörte es sich in dem kleinen Raum falsch an. Er hatte sich sofort entschlossen, sein Wissen für sich zu behalten. Die Preisgabe der wahren Identität Dr. Martells bedeutete, daß der ganze Fall von offizieller Seite erledigt würde. Der japanische Geheimdienst und die CIA würden in Scharen nach Fukuoka kommen, um Blofeld und Irma Bunt festzunehmen. Man würde James Bond seine ganz persönliche Beute entreißen. Es würde keine Rache geben! Bond sagte: »Du lieber Himmel, nein! Aber ich verstehe etwas von Physiognomik. Als ich das Gesicht dieses Mannes sah, hatte ich das Gefühl, daß der Ausgang meiner Mission - ob sie nun erfolgreich ist oder nicht - für ihn oder mich entscheidend sein wird. Bei diesem Spiel gibt es kein Unentschieden! - Aber jetzt hätte ich noch eine ganze Reihe anderer Fragen, mit denen ich Sie und den Superintendenten belästigen muß. Es geht zwar nur um unbedeutende Einzelheiten, aber ich möchte genau Bescheid wissen, ehe ich losziehe.«
Tiger sah erleichtert aus. Die unverhüllte Grausamkeit in Bonds Gesicht hatte ihn erschreckt. Sie paßte gar nicht zu dem stoischen, ironischen Gesicht des Bondo-san, für den er aufrichtige Freundschaft empfand. Er lächelte breit. »Aber natürlich, lieber Freund. Ich freue mich über die Umsicht und Sorgfalt, mit der Sie an die Sache herangehen. Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen noch ein letztes japanisches Sprichwort zitiere. Es lautet: >Eine vernünftige Anzahl von Flöhen ist gut für einen Hund. Sonst vergißt der Hund, daß er ein Hund ist.<«
13
James Bond bewegte sich wie eine Marionette in der frischen Morgenluft. Während er seine Ninja -Ausrüstung anprobierte und zusah, wie jeder Gegenstand sorgfältig in einen schwimmfähigen Plastikbeutel verpackt wurde, waren seine Gedanken völlig mit seinem Feind beschäftigt - mit Ernst Stavro Blofeld, dem großen Verbrecher, der SPECTRE, eine gefährliche Terrororganisation, aufgebaut hatte, dem Mann, den die Polizei aller NATO-Staaten suchte; dem Mann, der Tracy, Bonds Frau für knapp vierundzwanzig Stunden, vor genau neun Monaten ermordet hatte. Und in diesen neun Monaten hatte er eine neue Methode entwickelt, um »den Tod an sich zu ziehen«, wie sich Tiger ausdrückte. Sein Auftreten als Doktor Martell, als reicher Botaniker, mußte eine der vielen Tarnungen sein, die er klugerweise über viele Jahre hinweg aufgebaut hatte. Und es mußte einfach gewesen sein. Die Stiftung seltener Pflanzen für berühmte botanische Gärten, die Finanzierung einiger Expeditionen - und all das mit der Absicht, sich eines Tages zurückzuziehen und »seinen Garten zu bestellen«. Und was für einen Garten! Einen Garten, der wie ein tödlicher Fliegenfänger auf Menschen wirkte, ein Lockmittel für alle, die sterben wollten. Und natürlich mußte ihm Japan, das Land mit der höchsten Selbstmordziffer der Welt, das Land mit einem ausgeprägten Sinn für das Bizarre, Grausame und Schreckliche als letzte Zuflucht geradezu ideal erscheinen. Blofeld mußte völlig verrückt geworden sein - aber es war ein fürchterlicher, berechnender Wahnsinn, der Wahnsinn des Genies, das er zweifellos war. Und der ganze teuflische Plan war in dem bei Blofeld üblichen großartigen Maßstab aufgezogen - im Maßstab eines Caligula, eines Nero, eines Hitler oder eines anderen großen Feindes der Menschheit. Die Schnelligkeit der Durchführung war atemberaubend, die Kosten ungeheuer, die Organisation bis hinunter zum Einsatz der Schwarzen Drachen peinlich genau und die Tarnung so vollkommen wie die Klinik auf dem Piz Gloria, an deren Vernichtung Bond vor knapp einem Jahr mitgewirkt hatte. Und jetzt standen sich die beiden Todfeinde erneut gegenüber, aber diesmal trieb David nicht die Pflicht dazu, seinen Goliath zu töten, sondern die Blutrache! Und mit welchen Waffen? Mit den bloßen Händen, einem Taschenmesser und einer dünnen Stahlkette. Nun gut, ähnliche Waffen hatten ihm schon vorher gute Dienste geleistet. Die Überraschung würde der entscheidende Faktor sein. Bond legte noch ein Paar schwarze Schwimmflossen zu seiner Ausrüstung, einen Brotbeutel mit Dörrfleisch, Benzedrintabletten und eine Plastikflasche mit Wasser. Dann war er fertig.
Sie fuhren durch die Hauptstraße hinunter zum Landungssteg, an dem das Polizeiboot wartete. Mit gut zwanzig Knoten glitten sie quer über die Bucht und bogen um das Vorgebirge. Tiger
Weitere Kostenlose Bücher