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Du lebst nur zweimal

Titel: Du lebst nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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den gepflasterten Weg hinauf zum Haus des Priesters, einem bescheidenen verwitterten Gebäude aus Stein und behauenem Treibholz. Sie traten ein und setzten sich im Halbkreis vor dem Priester auf den blankpolierten Holzboden. Der Superintendent hielt eine lange Ansprache, die der Priester immer wieder mit »Hai!« und »Ah, so desu ka!« unterbrach, wobei er Bond mit seinen klugen Augen nachdenklich betrachtete. Er gab eine kurze Erwiderung, die der Superintendent und Tiger ehrerbietig anhörten. Tiger antwortete, und die Sitzung war bis auf die obligate Einladung zum Tee überstanden.
    Bond fragte Tiger, wie man seine Anwesenheit und Aufgabe erklärt habe. Tiger erwiderte, daß es keinen Sinn gehabt hätte, dem Priester, der ein sehr kluger Mann sei, irgendwelche Lügen aufzutischen. Daher habe man ihm fast die ganze Wahrheit gesagt. Der Priester habe sein Bedauern ausgedrückt, daß man zu so radikalen Maßnahmen greifen wolle, habe aber auch die Ansicht vertreten, daß das Schloß auf dem Festland ein schlimmes Übel sei und daß sein Besitzer mit dem Teufel im Bund stehe. Unter den gegebenen Umständen erteile er dem Unternehmen seinen Segen. James Bond könne auf der Insel bleiben, aber nur für die Zeit, die er brauche, um seine Mission zu erfüllen.
    Der Priester wolle die Familie Suzuki auffordern, ihn mit allen Ehren aufzunehmen. Bond werde den Ältesten gegenüber als berühmter Anthropologe ausgegeben, der die Lebensweise der Amas studieren wolle. Bond solle sie also auch studieren, sich dabei aber möglichst zurückhaltend benehmen. »Das heißt«, erklärte Tiger mit boshaftem Grinsen, »daß Sie nicht mit den Mädchen schlafen sollen.«
    Am Abend kehrten sie zum Landungssteg zurück. Das Meer schimmerte dunkel und war spiegelglatt. Die kleinen Boote, deren farbiger Flaggenschmuck einen erfolgreichen Fangtag anzeigte, schössen auf die Insel zu. Die gesamte Bevölkerung von Kuro, vielleicht zweihundert Menschen, hatte sich am Ufer eingefunden, um die Heldinnen des Tages zu begrüßen. Die älteren Leute hielten sorgfältig gefaltete Tücher und Decken, um die Mädchen auf dem Weg zu ihren Häusern aufzuwärmen, wo, wie Tiger erklärte, heiße Bäder auf sie warteten, um den Kreislauf wieder anzuregen und das Salzwasser abzuwaschen. Es war jetzt fünf Uhr. Um acht würden sie zu Bett gehen, sagte Tiger, und in der Morgendämmerung wieder aufstehen. »Sie werden sich anpassen müssen, Bondo-san, auch in der Lebensweise. Die Amas leben sehr genügsam, sehr billig, da sie wenig verdienen - nicht mehr als den Gegenwert von Sperlingstränen, wie wir sagen. Und seien Sie, um Himmels willen, sehr höflich zu den Eltern, besonders zum Vater. Was Kissy betrifft . . .« Er ließ den Satz in der Luft hängen.
    Eifrige Hände streckten sich den Booten entgegen, die unter fröhlichen Rufen auf den schwarzen Kies hinaufgezogen wurden. Große Holzbehälter wurden herausgehoben und rasch über den Strand hinauf zu einem improvisierten Markt getragen, wo man die Awabi sortierte und den Preis festlegte. Inzwischen wateten die plappernden, lachenden Mädchen durch das seichte Wasser auf das Ufer zu und warfen den drei Fremden auf dem Landungssteg versteckte, abschätzende Blicke zu.
    Für Bond sahen sie in der weichen Abenddämmerung alle gleich schön und lebenslustig aus - die üppigen, festen Brüste, die schimmernden kraftvollen Hüften mit der schwarzen Schnur, die das Dreieck aus schwarzer Baumwolle am richtigen Platz hielt, der kräftige Riemen mit den ovalen Bleigewichten um die Taille, das weiße Stoffband in den lang herabfallenden Haaren und darunter die lachenden dunklen Augen und Lippen, die das Glück des Tages widerspiegelten. In diesem Augenblick schien es Bond, daß das Leben so sein müßte wie hier, und er schämte sich seiner städtischen Aufmachung.
    Ein Mädchen, hochgewachsener als die anderen, schien den Männern auf dem Landungssteg keine Aufmerksamkeit zu schenken. Sie war Mittelpunkt einer Schar lachender Mädchen und ging mit langen vorsichtigen Schritten über die glänzenden schwarzen Kieselsteine und den Strand hinauf. Sie rief ihren Kameradinnen eine Bemerkung zu, und sie kicherten, wobei sie die Hände vor den Mund hoben. Eine runzelige alte Frau hielt ihr eine rauhe braune Decke hin, die sie um sich warf. Die Gruppe löste sich auf.
    Die alte und die junge Frau gingen zusammen hinauf zum Markt. Das Mädchen sprach eifrig; die alte Frau hörte ihr zu und nickte. Der Priester wartete auf sie.

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