Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
nennen, gehöre ich doch selbst dieser Zunft an, bewerfe mich also auch selbst mit faulen Eiern. Ich musste einfach zu viele ungeeignete Pädagogen kennenlernen: aus der Perspektive der Schülerin, aus der einer Mutter dreier Kinder, aus beruflicher Sicht. Auch ich habe Fehler gemacht. Ich bin selbst ein Kind der Bildungspolitik, habe Fachdidaktik und Hospitationen durchlaufen und das weitergegeben, was ich dort gelernt habe. Dadurch bin auch ich vielen Irrtümern aufgesessen, vergraulte Schüler unbeabsichtigt und lehrte nach der Methode »Friss oder stirb«. Auch ich habe schon mal am ersten Schultag bereits ausgerechnet, wie viele Tage es noch dauert, bis die nächsten Ferien kommen.
Bis zu dem Tag, als Rettung in der Person einer Montessoripädagogin nahte, die mir den Spiegel vor die Nase hielt. Das war nicht so angenehm. Ich durchlief schmerzhafte Prozesse,
musste mich mit jahrelang eingetrichterten Glaubenssätzen auseinandersetzen. Harte Lehrjahre des Umdenkens folgten, in denen mich die Zweifel quälten, ob das wohl alles so richtig sein kann. Bis man etwas wirklich kann und verinnerlicht hat, vergehen viele Tausende Stunden fleißigen Übens. Danach kann man davon ausgehen, dass sich die neuen Denkmuster so im Unterbewusstsein abgespeichert haben, dass sie spontan abgerufen werden können.
Wenn laut verschiedener Befragungen die allermeisten Deutschen mit dem hiesigen Bildungssystem, vornehmlich der Schule, unzufrieden sind, dann betrifft solch ein Ergebnis auch die Lehrer, da kann sich niemand aus der Verantwortung stehlen. Alles, was ein Schüler haben soll, muss beim Lehrer im Überfluss vorhanden sein. Wer motivierte, engagierte und couragierte Schüler haben will, der muss Motivation, Engagement und Courage im Überfluss bieten. Doch wie liest es sich regelmäßig in den Schlagzeilen? In einer älteren Ausgabe des »Spiegel« hieß es, dass 95 Prozent der Lehramtsstudenten an der Universität Koblenz deshalb auf Lehramt studieren, weil ihnen nichts Besseres eingefallen ist. Zehn Jahre später kann man im »Spiegel« lesen, dass das Lehrerzimmer ein Auffangbecken für Studienversager, Mittelmäßige und Unentschlossene ist. In der TAZ wird die mangelnde Motivation der Lehrer beklagt. Ähnliche Artikel liest man wieder und wieder in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Ref 14 Ref 15 Ref 16 Ref 17
Eine zwölf Jahre andauernde Studie von Professor Rauin an der Universität Frankfurt mit 1000 Lehramtsstudenten ergab: 27 Prozent von ihnen gehörten zu den »riskanten Studierenden«, die selbst von Anfang an große Zweifel an ihrer Befähigung zum Lehrerberuf haben. Zum Kreis der »Engagierten« zählen laut dieser Studie knapp 38 Prozent. Bei 35 Prozent hatten schon bei der Studien- und Berufswahl pragmatische Motive überwogen. Zu diesen Motiven zählen: sicheres Einkommen,
geregelte Freizeit, Sicherheit des Arbeitsplatzes und gute Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Danach folgen: Freude an der Vermittlung von Wissen, Verwirklichung eigener Interessen und die Möglichkeit zum selbstständigen Arbeiten.
An dieser Stelle wage ich nun zu behaupten, dass kaum einer ein Lehramtsstudium beginnt, weil er sich der überaus verantwortungsvollen Aufgabe bewusst ist, die Boris Grundl in seinem Buch »Diktatur der Gutmenschen« zum Ausdruck bringt, wenn er von Lehrern fordert, »Menschenentwickler« zu sein. Das sind Menschen, die einfühlsam die Talente ihres Gegenübers zu wecken vermögen, die selbst im Hintergrund bleiben, damit der Schüler wachsen kann. Menschen, die andere ermutigen, sich durch Niederlagen hindurchzukämpfen, über sich selbst hinauszuwachsen. Die wissen, dass in jedem mehr steckt, als er glaubt, die sich von Widerständen nicht abschrecken lassen. Menschen, denen bewusst ist, dass Leistung immer ein Kraftakt ist, der schließlich von Erfolg gekrönt wird. Die erkannt haben, dass persönliche Zufriedenheit das Ergebnis schöpferischen Tuns ist. Und wie sollte ein Lehramtsanwärter zu diesen Einsichten kommen, wenn er selbst nie erfahren konnte, dass Lernen in einer wertschätzenden und achtsamen Umgebung das persönliche Potenzial förmlich erblühen lässt? Es reicht eben nicht, dass Studenten sich für den Lehrerberuf als eine zweitklassige Alternativlösung entscheiden, weil es für eine Karriere als Autor oder für den Sprung in höhere Ebenen an einer Universität nicht gereicht hat. Es reicht nicht, sich damit zu trösten, dass es ja auch ganz nett sein kann, mit Kindern
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