Du machst, was ich will: Wie Sie bekommen, was Sie wollen - ein Ex-Lobbyist verrät die besten Tricks (German Edition)
Interessen verfolgen, so bleiben sie doch Konkurrenten. Und so kann es passieren, dass ein Unternehmen eine für die Branche nachteilige Regulierung befürwortet, weil sie die Wettbewerber noch mehr treffen würde als es selbst.
Hier hatte ich darauf zu achten, dass die Unternehmen den Verband nicht nutzten, um sich gegenseitig zu schaden. Manchmal setzte ich kurzfristig noch eine kleinere Telefonkonferenz an, um einen Kompromiss im Kampf um die Worte zu finden. Oder ich führte Einzelgespräche.
So wie an diesem Nachmittag, als mich die aufgeregte Dame anrief. Es war die zweite und letzte Abstimmungsrunde, und ein Satz von ihr war aus der Stellungnahme herausgefallen. Ein anderes Unternehmen hatte dagegen protestiert, damit war der Satz nicht konsensfähig. In dem betreffenden Arbeitskreis waren nur etwa 20 aktive Unternehmen. Und dass es mit mindestens einem davon einen Interessenwiderspruch gab, war völlig offensichtlich. Dazu brauchte man sich nicht sehr viel näher mit der Sache zu beschäftigen. Trotzdem war die Dame aus allen Wolken gefallen, als sie erfuhr, dass jemand irgendetwas anders sehen könnte als sie.
»Sicher nur die erste Aufregung«, dachte ich, und gab ihr eine Chance: »Sie wissen ja, wer sonst noch im Arbeitskreis ist. Dreimal dürfen Sie raten, wer eine andere Meinung haben könnte.«
Stille am andern Ende der Leitung.
Nach einer ganzen Weile sagte sie: »Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen.«
Selbst wenn wir ausdrücklich darüber nachdenken, können wir uns nur schwer vorstellen, dass andere die Welt mit anderen Augen sehen und Sachverhalte anders beurteilen als wir selbst.
Die meisten Menschen haben panische Angst davor, sich den Standpunkt eines anderen auch nur vorzustellen , geschweige denn anzuhören – oder gar zu verstehen. Denn sie denken, damit hätten sie den fremden Standpunkt schon selbst übernommen – und den eigenen aufgegeben.
Aber das ist natürlich Unsinn. Wir können uns ohne jedes Risiko einen fremden Standpunkt anhören, ihn erkunden, zu verstehen versuchen, uns gar vorstellen – und dann doch wieder zurückkehren zu unserer eigenen Sichtweise und die nach wie vor und bis an unser Lebensende für die einzig richtige halten.
Ohne den Mut, zumindest gedanklich einmal auf die andere Seite zu wechseln, werden wir nie erfahren, mit welchem »Argument« wir unsere Zielperson überzeugen können.
So finden Sie die Lösung hinter der Fassade
Und wenn sich Ihre unterschiedlichen Positionen nun gegenseitig ausschließen? Dann können in der Lösung, die Sie anstreben, trotzdem Argumente für den anderen liegen. Denn was der andere wirklich will, was er wirklich braucht, zeigt sich oft erst, wenn wir hinter seine Position schauen, hinter seinen Wunsch: Hinter einer bestimmten Position können sich nämlich ganz unterschiedliche Bedürfnisse verbergen.
Und Bedürfnisse sind etwas ganz anderes als Wünsche und Positionen.
Wenn wir nicht bei den Positionen stehen bleiben, sondern auf die Bedürfnisse hinter den Positionen schauen, dann ergeben sich plötzlich ganz ungewohnte Lösungen – und zwar solche, die beiden Seiten nutzen. Und aus denen man für beide Seiten »Argumente« ablesen kann.
In einer berühmten Geschichte streiten sich zwei Schwestern um eine Orange. Beide wollen diese eine Orange.
Was kann man tun?
Man kann die Orange nur einer Schwester geben. Das wäre ungerecht – die andere ginge leer aus.
Man kann sie keiner Schwester geben. Das wäre gerecht, aber beide gingen leer aus.
Man kann die Orange in der Mitte teilen und jeder Schwester eine Hälfte geben. Das wäre gerecht, aber jede Schwester bekäme nur die Hälfte dessen, was sie will.
Am Ende wäre immer jemand enttäuscht.
Fragt man aber die Schwestern, warum sie jeweils die Orangen wollen, so stellt sich heraus: Die eine möchte einen Kuchen backen und braucht die Schale. Die andere möchte Saft pressen und braucht das Fruchtfleisch.
Plötzlich ist es möglich, dass jede zu 100 Prozent das bekommt, was sie eigentlich braucht.
Oft lassen sich die Bedürfnisse hinter einer Position gut erkennen. Manchmal aber auch nicht. Dann hilft die einfache Frage weiter: Warum willst du das?
Und mit dieser Einsicht machen wir eine kleine Praxisübung zum Schluss: Wir nehmen die alltäglichen Sätze aus Kapitel 2, überwinden den Egozentrismus und formulieren sie so um, dass die »Argumente« nicht aus unserer Sicht, sondern aus Sicht der Zielperson greifen:
Aus »Ich bin sehr
Weitere Kostenlose Bücher