Du machst, was ich will: Wie Sie bekommen, was Sie wollen - ein Ex-Lobbyist verrät die besten Tricks (German Edition)
Die Stimme jedes Unternehmens zählte dabei prinzipiell gleich viel, egal, ob das Unternehmen eine Milliarde Jahresumsatz machte oder 50.000 Euro. Jedes Unternehmen konnte eine Branchenmeinung zu Fall bringen, wenn es sie nicht mittrug.
Manche Verbände praktizieren auch das Fußnotenprinzip: »Abweichler« von der Branchenmeinung bekommen ein Sondervotum in einer Fußnote. Das macht die Abstimmung zwar wesentlich einfacher, nimmt der Branchenmeinung aber so viel Schlagkraft, dass ich dieses Prinzip nie genutzt habe.
Lieber führte ich nach den Sitzungen noch einige Telefonkonferenzen mit den Unternehmen, bis wir eine Formulierung fanden, der alle zustimmen konnten. Der gemeinsame Nenner war manchmal erstaunlich konkret, manchmal aber blieb am Ende nur noch die Forderung an den Gesetzgeber übrig, »eine interessengerechte Lösung zu finden«.
Gesetzesinitiativen können von der Bundesregierung kommen oder aus dem Bundesrat oder dem Bundestag. Meistens kommen sie aus der Bundesregierung. Dann läuft es so: Ein Ministerium entwirft ein Gesetz. Der Entwurf entsteht dort in einem bestimmten Referat, also auf der unteren Arbeitsebene, bei den Leuten, die im Zweifel am meisten von der Sache verstehen. Deshalb nennt man diesen ersten Entwurf auch »Referentenentwurf«. Bekommen die Medien davon Wind, titeln sie oft bereits zum Beispiel: »Mietrecht wird geändert« – obwohl der Referentenentwurf noch weit von einem Gesetz entfernt ist, das dann – vielleicht – irgendwann einmal in Kraft treten wird.
Und doch wird das Gesetz meist nie wieder in so kompetente Hände gelangen wie in seiner Geburtsstunde. In allen weiteren Stationen – Spitze des Fachministeriums, Bundeskabinett, Bundestag, Bundesrat – werden es Menschen diskutieren und verändern, die weniger von dem Thema verstehen als der Fachreferent, von dem der erste Entwurf stammt. Nicht selten verstehen sie sogar gar nichts davon – und doch reden und bestimmen alle mit.
Den Referentenentwurf schickt das Ministerium an die Verbände der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen – verbunden mit dem Aufruf, dazu innerhalb einer bestimmten Frist eine Stellungnahme abzugeben.
Ich hatte also alle paar Wochen, manchmal aber auch alle paar Tage und in seltenen Fällen sogar mehrmals täglich einen Gesetzentwurf in meinem E-Mail-Postfach.
Natürlich werden nicht alle Themen so bequem per Mail an einen Lobbyisten herangetragen – darauf darf er sich auf keinen Fall verlassen. Jeder Lobbyist ist daher auch ständig aktiv auf Themensuche, durchforstet Pressemeldungen, Tagesordnungen von Ausschüssen und beobachtet aufmerksam alle Vorgänge im politischen Raum. Bundestag und Bundesrat unterhalten ein ausgefeiltes Recherchesystem im Internet, dort lässt sich jeder Entwurf, jeder Antrag, jeder Verfahrensstand nachschlagen. Wichtig sind aber auch die ständigen persönlichen Gespräche, um von diesen Vorgängen möglichst schon zu erfahren, bevor sie in das Informationssystem gelangen – manchmal auch, um zu verhindern, dass ein Thema überhaupt auf die offizielle politische Agenda kommt. Das nennt man dann »präventive Lobbyarbeit«.
Jeden Gesetzentwurf leitete ich an die Arbeitskreise weiter, die es betraf. Ich bat die Unternehmen um ihre Einschätzung: Welche Auswirkungen hätte ein solches Gesetz für sie? Was wäre schädlich, was wäre gut, was sollte aus ihrer Sicht gestrichen, ergänzt oder geändert werden?
Unterschiedliche Unternehmen meldeten sich daraufhin mit ganz unterschiedlichen Einschätzungen zurück. Manche schickten 50 Seiten, manche nur einen Satz. Manche einen Tag vor Fristende, manche schrieben abends um elf, sie würden es erst morgen schaffen. Oder in zwei Tagen. Oft setzte die Politik ihre Fristen tatsächlich unverschämt kurz.
Ich sah mir dann die Einschätzungen der Unternehmen an, druckte sie aus, legte sie nebeneinander. Oft über Nacht – mehr Zeit war manchmal nicht – versuchte ich aus einem Stapel von Stellungnahmen die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Positionen herauszulesen. Daraus schrieb ich einen Entwurf für »die Branchenmeinung«, den ich wieder an alle verschickte, wieder mit der Bitte um Rückmeldung. Kamen keine Proteste, war mein Entwurf »durch« und konnte so beim Ministerium eingereicht werden. Reichte die Zeit, gab es weitere Abstimmungsrunden mit den überarbeiteten Entwürfen. In der Regel kamen Proteste. Die Unternehmen kämpften um jedes Wort.
Auch wenn die Unternehmen im Verband gemeinsame
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