Du oder das ganze Leben
werfe alle Bedenken über Bord.
Zum Teufel damit.
Ich schiebe die Umhängetasche mit meinen Büchern auf den Rücken und steige auf sein Motorrad.
»Halt dich gut fest«, sagt er, nimmt meine Hände und legt sie um seine Taille. Schon seine starken Hände auf meinen zu spüren fühlt sich ungeheuer intim an. Ich frage mich, ob er es wohl ebenso empfindet, weise den Gedanken dann aber von mir. Alex Fuentes ist ein knallharter Typ. Mit viel Erfahrung. Nur meine Hände zu berühren wird seinen Magen nicht in Aufruhr versetzen.
Seine Fingerspitzen streichen mit voller Absicht sanft über meine, bevor er nach dem Lenker greift. Oh. Mein Gott. Worauf habe ich mich da eingelassen?
Als wir vom Parkplatz brausen, schlinge ich meine Arme fester um Alex, sodass ich seine harten Bauchmuskeln unter dem T-Shirt spüre. Die Geschwindigkeit des Motorrads macht mir
Angst. In meinem Kopf dreht sich alles, als säße ich in einer Achterbahn ohne Sicherheitsbügel.
Das Motorrad hält an einer roten Ampel und ich entspanne mich etwas.
Ich spüre, wie er in sich hineinlacht, als die Ampel grün wird und er die Maschine ein zweites Mal über den Asphalt jagt. Ich umklammere seine Taille und vergrabe mein Gesicht an seinem Rücken.
Als er endlich anhält und das Motorrad aufbockt, sehe ich mir an, wo ich gelandet bin. In dieser Straße bin ich noch nie gewesen. Die Häuser sind so … klein. Die meisten haben nur ein Stockwerk. Sie stehen dicht an dicht, zwischen ihnen würde noch nicht einmal eine Katze Platz finden. So sehr ich dagegen ankämpfe, ich kann nicht verhindern, dass eine unendliche Traurigkeit sich in mir ausbreitet.
Mein Haus ist mindestens sieben-, vielleicht auch acht- oder neunmal so groß wie Alex’ Zuhause. Ich wusste ja, dass dieser Teil der Stadt arm ist, aber …
»Es war ein Fehler«, sagt Alex. »Ich bring dich nach Hause.«
»Warum?«
»Unter anderem wegen der Abscheu in deinem Gesicht.«
»Das ist keine Abscheu. Ich schätze, es tut mir leid …«
»Es gibt keinen Grund, mich zu bemitleiden«, sagt er warnend. »Ich bin arm, aber ich habe ein Zuhause.«
»Bittest du mich dann auch herein? Die Typen auf der anderen Straßenseite glauben, ein weißes Mädchen mit offenem Mund anstarren zu müssen.«
»Ja, hier bist du eben eine Schneebraut.«
»Ich hasse Schnee«, erwidere ich.
Seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen. »Es geht nicht ums Wetter, querida . Sondern um deine schneeweiße Haut. Folge mir einfach und ignoriere meine starrenden Nachbarn.«
Ich spüre seine Reserviertheit, als er mich ins Haus führt. »Hier wohne ich«, sagt er, während wir eintreten.
Das Wohnzimmer ist kleiner als jeder Raum in meinem Haus, aber dafür strahlt es Wärme und Gemütlichkeit aus. Auf dem Sofa liegen zwei gehäkelte Decken, solche, unter die ich mich gern in kalten Nächten kuscheln würde. Wir haben nichts dergleichen im Haus. Wir haben Überdecken, die für uns entworfen wurden, damit sie zum Rest der Einrichtung passen.
Ich wandere durch Alex’ Haus, lasse meine Finger über die Oberflächen der Möbel gleiten. Da ist ein Regalbrett voll mit halb abgebrannten Kerzen unter dem Foto eines gut aussehenden Mannes. Ich spüre die Wärme, die von Alex ausgeht, der direkt hinter mir steht. »Dein Dad?«, frage ich.
Er nickt.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne meinen Dad wäre.« Auch wenn er nicht viel da ist, so gibt er meinem Leben doch Halt. Ich wünsche mir mehr Zuwendung von meinen Eltern. Vielleicht sollte ich mich einfach glücklich schätzen, überhaupt Eltern zu haben?
Alex betrachtet das Bild seines Vaters. »Zuerst ist man völlig betäubt und versucht, es auszublenden. Ich meine, man weiß, dass er fort ist und so, aber es ist, als stecke man in diesem Nebel fest. Dann wird das Leben irgendwie wieder zum Alltag und man fügt sich darin.« Er zuckt mit den Schultern. »Irgendwann hört man auf, ständig daran zu denken und lebt einfach sein Leben weiter. Man hat gar keine andere Wahl.«
»Es ist wie eine Prüfung.« Ich erhasche einen Blick auf mein Bild in einem Spiegel, der an der gegenüberliegenden Wand hängt. Abwesend fahre ich mir mit den Fingern durch das Haar.
»Das tust du ständig.«
»Was denn?«
»Dein Haar oder Make-up richten.«
»Was ist falsch daran, gut aussehen zu wollen?«
»Nichts, außer es wird zur Besessenheit.«
Ich nehme die Hände runter und wünsche mir, ich könnte sie an meinen Körper tackern. »Ich bin nicht besessen.«
Die
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