Du oder der Rest der Welt
angeschossen, und unser ganzes Leben geriet aus dem Lot. Paco starb. Ich weiß nicht, ob wir je über das hinwegkommen werden, was damals geschah. Mein Bruder war kaum aus dem Krankenhaus, da zogen wir auch schon zu Verwandten nach Mexiko. Seit der Schießerei ist nichts mehr, wie es war.
»Ramiro, das ist …« Shevelenko sieht mich fragend an. »Wie heißt du?«
»Carlos.«
Sie sieht Ramiro an. »Er ist Mexikaner, du bist Mexikaner. Sorgt dafür, dass ihr zwei Spanischsprecher bei Partnerarbeiten ein Team bildet.«
Ich folge Ramiro zu einem der Labortische. »Hat sie sie noch alle?«
»Ich fürchte, nein. Wie ich gehört habe, hat Nazi-Schatzi letztes Jahr diesen Typen namens Iwan sechs Monate lang ›den Russen‹ genannt, bevor sie sich seinen Namen gemerkt hat.«
»Nazi-Schatzi?«, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Sieh mich nicht so an, Mann«, sagt Ramiro. »Der Spitzname ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Sie hat ihn schon seit über zwanzig Jahren.«
Es läutet, aber alle quatschen weiter. Nazi-Schatzi hat sich wieder ihrem Computer zugewandt, sie ist immer noch mit ihren E-Mails beschäftigt.
» Me llamo Ramiro , aber der Name ist viel zu mexikanisch, deshalb sagen alle Ram zu mir.«
Mein Name ist auch typisch mexikanisch, aber ich sehe keinen Sinn darin, meine Herkunft zu dizzen und mich ab sofort Carl zu nennen, nur um dazuzugehöhren. Es braucht nur einen Blick, und du weißt, dass ich Latino bin. Also warum sollte ich so tun, als sei ich jemand anders? Ich habe Alex immer vorgeworfen, ein Weißer sein zu wollen, weil er seinen Geburtsnamen Alejandro ablehnt.
» Me llamo Carlos . Du kannst mich Carlos nennen.«
Jetzt, da ich ihm mehr Aufmerksamkeit widme, fällt mir auf, dass Ram so ein Golfshirt mit einem Designerlogo trägt. Er hat vielleicht Familie in Mexiko, aber ich wette, su familia lebt in einer vollkommen anderen Welt als meine.
»Also was geht hier so ab?«, frage ich ihn.
»Die Frage ist eher, was hier nicht abgeht«, sagt Ram. »Wir hängen in der Pearl Street Mall ab, gehen ins Kino, wandern, snowboarden, raften, bergsteigen und amüsieren uns mit den Chicks aus Niwot und Longmont.«
Nichts davon entspricht meiner Vorstellung von Spaß, mal abgesehen vom Allerletzten.
Uns gegenüber sitzt die heiße Schnecke Madison. Abgesehen von ihren engen Klamotten hat sie langes blondes Haar mit Strähnchen, ein breites Lächeln und ungeheuer große Titten, die sogar Brittany Konkurrenz machen. Nicht, dass ich ein Auge auf die Freundin meines Bruders geworfen hätte, sie sind einfach nur schwer zu übersehen.
Madison beugt sich vor. »Ich hab gehört, du bist neu hier«, sagte sie. »Ich bin Madison. Und dein Name ist …«
»Carlos«, platzt Ram heraus, bevor ich etwas erwidern kann.
»Ich bin sicher, er kann sprechen, Ram«, zischt sie. Dann streicht sie ihr Haar hinter das Ohr und lässt Diamantenohrringe aufblitzen, mit denen sie allen Ernstes jemanden blenden könnte, wenn die Sonne im richtigen Winkel darauf trifft. Sie lehnt sich zu mir und beißt sich auf die Unterlippe. »Du bist der neue Typ aus Meh-hi-ko ?«
Es irritiert mich jedes Mal, wenn weiße Kids versuchen, so zu klingen, als wären sie Mexikaner. Ich frage mich, was sie noch so über mich gehört hat. » Sí «, sage ich.
Sie wirft mir ein sexy Lächeln zu und lehnt sich noch näher zu mir. » Estás muy caliente .«
Ich glaube, sie hat mich gerade scharf genannt. In Meh-hi-ko drücken wir es anders aus, aber ich verstehe, was sie mir sagen will.
»Ich könnte einen guten Spanischnachhilfelehrer gebrauchen. Mein letzter hat sich als totaler Loser herausgestellt.«
Ram räuspert sich. »¡ Qué tipa ! Falls du es noch nicht erraten hast, ich war ihr letzter Nachhilfelehrer.«
Ich beobachte noch immer Madison. Wie es scheint, hat sie es echt drauf und kein Problem damit, ihr Vorzüge zur Schau zu stellen. Auch wenn ich normalerweise auf exotische, mexikanische chicas mit honigfarbener Haut stehe, weiß ich hundertpro, dass kein Typ Madison widerstehen kann. Und sie weiß es auch.
Als ein Mädchen sie zu ihrem Tisch rüberruft, drehe ich mich zu Ram. »Warst du ihr Nachhilfelehrer oder ihr Freund?«, frage ich ihn.
»Beides. Manchmal gleichzeitig. Wir haben vor einem Monat Schluss gemacht. Hör auf meinen Rat und halt dich von ihr fern. Sie ist bissig.«
»Soll ich das wörtlich verstehen?«, frage ich grinsend.
»Ernsthaft, du willst ihr nicht nah genug kommen, um das herauszufinden. Lass uns
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