Du oder der Rest der Welt
Onkel Julio anrufen und ihm verraten, was hier gerade abgeht. Er hat versprochen, dafür zu sorgen, dass Luis und mi’amá beschützt werden, und versucht, sie nicht zu sehr zu alarmieren. Er war nicht glücklich über die Scheiße mit Devlin, aber er geht eh davon aus, dass ich mir mein Leben versauen werde, also hat es ihn nicht allzu sehr überrascht.
Was dazu führt, dass ich gerne unter Beweis stellen würde, dass ich doch zu was tauge. Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass ich die Chance dazu bekomme. Mein ganzes Leben war ich als Versager am erfolgreichsten. Aber es ist tröstend, dass Kiara und ihre Eltern glauben, jeder könne jederzeit noch einmal von vorn anfangen.
»Du gehst also mit dieser Braut, Kiara, hm?« Er stößt Rauch aus. »Ist sie heiß?«
»Mehr als das«, sage ich, da ich weiß, dass Keno keinen Schimmer hat, wer sie ist, schließlich geht er nicht auf die Flatiron. Mir schießen Gedanken an Kiara durch den Kopf, mit ihrem Drück-dich-nicht-länger-T-Shirt. Ich muss zugeben, eigentlich ist Kiara gar nicht mein Typ, und ich bin mir sicher, sie wäre auch nicht Kenos, aber in letzter Zeit kann ich mir nichts Begehrendwerteres vorstellen als ein Mädchen, das weiß, wie man Drähte verlötet und bescheuerte Plätzchenmagneten backt. Ich muss aufhören, so viel an sie zu denken, aber ich will eigentlich nicht. Noch nicht. Vielleicht nach dem Homecoming. Außerdem muss ich sie in meiner Nähe behalten, um sie vor Rodriguez und Devlins Leuten zu beschützen.
Apropos Devlin … »Genug Gelaber, Keno. Sag mir, was du weißt.«
»Ich weiß, dass du zu Devlins Crew gehörst. Alle reden davon. «
»Wer sind alle?«
»Die Six Point Renegados , auch bekannt als R6.« Er zieht sein T-Shirt hoch und zeigt mir einen schwarzen sechseckigen Stern mit einem großen blauen R in der Mitte. »Du steckst tief in der Scheiße, ese . Devlin ist verrückt, und die R6 mögen es nicht, dass er uns unser Terretorium Stück für Stück wegnimmt. Die R6 haben die Geschäfte hier kontrolliert, bevor Devlin alles durcheinandergebracht hat. Es wird bald Krieg geben, und Devlin rekrutiert Jungs, die wissen, wie man kämpft. Alles, was er im Moment hat, sind ein paar Kids, die für ihn als Dealer arbeiten und dabei so viel rauchen, wie sie verticken. Er braucht Krieger. Carlos, ein Blick auf dich, und jeder sieht, dass du ein Krieger bist, ein guerrero .«
»Er hat mir gesagt, er will mich als Bagman.«
»Glaub ihm nicht. Er möchte, dass du das bist, was er will, wann immer er will. Er bekommt Schiffsladungen aus Mexiko, er möchte Mexikaner in seiner Truppe. Er weiß, wir trauen den gringos nicht. Wenn er einen Soldaten für den Straßenkampf braucht, hat er dich in der Hinterhand.«
Keno beobachtet mich, versucht meine Reaktion auf die News einzuschätzen. Die Sache ist, das meiste davon war mir eh klar, mal abgesehen von der R6-Info. Na toll, ich bin für einen Drogenkrieg rekrutiert worden, bei dem es um nichts anderes als Geld geht.
»Warum erzählst du mir das?«, frage ich ihn. »Was springt dabei für dich raus?«
Keno lehnt sich vor, zieht an seiner Zigarette und bläst den Rauch als lange Schwade wieder aus. Schließlich blickt er hoch, er sieht mich vollkommen ernst an. »Ich steig aus.«
»Echt jetzt?«
» Sí . Echt. Ich verschwinde irgendwohin, wo niemand mich finden kann. Ich habe die ganze alte mierda so satt, Carlos. Scheiße, vielleicht dringt dieser ganze REACH-Mist allmählich zu mir durch. Jedes Mal, wenn Berger sagt, wir hätten unsere Zukunft in der Hand, denke ich, Lady, du hast ja keinen Schimmer. Aber was, wenn ich meine Zukunft tatsächlich in der Hand hätte, Carlos? Was, wenn ich alles zurücklassen und neu anfangen würde?«
»Um was zu tun?«
Er lacht. »Was immer ich will, Mann. Verdammt, ich könnte vielleicht einen Job bekommen und irgendwie, eines Tages, sogar meinen Abschluss nachholen und aufs College gehen. Heiraten und ein paar Kinder kriegen, die keine Ahnung haben, dass ihr Dad mal ein Gangster war. Ich wollte schon immer Richter werden. Das System ändern und so, damit es funktioniert und die Jugendlichen nicht so enden wie ich. Das habe ich auf Kinneys gelbes Blatt geschrieben. Du findest es wahrscheinlich dämlich, dass ich Richter werden will, wo ich schon mal wegen Drogenbesitzes verhaftet worden bin …«
»Es ist nicht dämlich«, unterbreche ich ihn. »Ich finde es cool.«
»Echt?« Er wedelt den Rauch weg und zum ersten Mal erkenne ich eine Mischung aus
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