Du weckst mein Verlangen
Italiens. Und natürlich gelangt man nicht an die Spitze, indem man zimperlich vorgeht. Außerdem muss man Roccos Kindheit berücksichtigen. Seine Eltern waren unglaublich egozentrisch. In einer schwachen Stunde gestand er mir, dass er sich wegen deren turbulenter Ehe geschworen hat, niemals zu heiraten.“
Emma brachte die Party pflichtbewusst hinter sich. Sie lächelte, bis ihre Wangenmuskeln schmerzten, und machte höflich Small Talk. Es gelang ihr, Rocco den ganzen Abend aus dem Weg zu gehen. Dabei registrierte sie durchaus, dass er ihr Verhalten bemerkte.
Nach dreiundzwanzig Uhr brachen die letzten Gäste auf, und Emma begleitete eine müde, aber glückliche Cordelia auf ihr Zimmer.
„Wie schön, Roccos Freunde einmal kennenzulernen. Ist es nicht nett von ihm, diese Party für mich zu geben? Aber er hatte ja schon immer ein gutes Herz.“ Die Miene der alten Dame nahm plötzlich einen schmerzlichen Zug an. „Dass er aber auch eine derart tragische Jugend haben musste! Giovannis Tod war ein Unfall, doch Rocco gibt sich bis heute die Schuld daran.“
„Giovanni war noch sehr jung, als er starb, oder?“
„Ja. Das arme Kind“, seufzte Cordelia. „Er war autistisch, und meine Tochter kam überhaupt nicht mit ihm zurecht. Sie hat einfach Rocco die Verantwortung für Gio aufgeladen.“
„Was ist denn eigentlich geschehen?“
„Die beiden Jungs verbrachten Weihnachten in Nunstead Hall. Es war ein extrem kalter Winter, und der See war zugefroren. Ich habe Gio tausendmal gesagt, er soll nicht aufs Eis gehen, aber er nahm das einfach nicht ernst … Rocco wäre bei dem Versuch, seinen Bruder zu retten, beinahe selbst ums Leben gekommen. Der Gärtner musste ihn mit Gewalt aus dem eisigen Wasser zerren und festhalten, weil er Gio unbedingt herausziehen wollte. Aber der war zu diesem Zeitpunkt schon tot.“
„Wie furchtbar!“
„Ja. Und Rocco ist leider nie über die Sache hinweggekommen.“ Cordelia kramte abwesend in ihrer Handtasche. „Ich muss meine Brille unten vergessen haben.“
„Kein Problem, ich hole sie.“
Emma war froh, ein paar Minuten für sich zu haben, um das Gehörte zu verdauen. Immerhin hatte sie an einem einzigen Abend zwei einander vollkommen widersprechende Einschätzungen von Roccos Charakter zu hören bekommen. Was stimmte nun? War er der skrupellose Herzensbrecher … oder ein Held? Vielleicht steckt ja beides in ihm. Wie bei Jack? Ihre Gedanken überschlugen sich, darunter auch immer wieder die schmerzlichen Erinnerungen an ihre Ehe.
Cordelias Brille lag auf einem Couchtisch im Salon. Emma lächelte dem Hausmädchen zu, das gerade dabei war aufzuräumen, und nahm die Brille an sich. Plötzlich hörte sie hinter sich Roccos Stimme – und erstarrte.
„Wieder auf der Flucht, Emma?“
Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, da der Salon lediglich durch Kerzen erhellt wurde, aber von Roccos hochgewachsener Gestalt ging etwas Beunruhigendes aus.
„Ich wollte Cordelias Brille holen.“
„Maria wird sie ihr bringen.“ Er sagte ein paar Worte auf Italienisch, und das Mädchen nahm Emma die Brille aus der Hand und eilte hinaus. Sie schloss die Tür hinter sich.
„Ein Drink vielleicht?“ Rocco trat an die Bar und goss sich einen Whiskey ein.
„Nein, danke!“ Emmas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. „Ich bin müde und möchte gerne ins Bett.“
„Es ist sicher sehr anstrengend, den ganzen Tag mit Cordelia im Garten zu sitzen“, entgegnete er zynisch. „Trotzdem hätte ich jetzt gerne einen Bericht über das Befinden meiner Großmutter. Was macht ihre Hand?“
„Die Brandwunde ist gut verheilt. Cordelia meint, sie hätte auch keine Schmerzen mehr.“
„Und insgesamt? Wie schätzen Sie ihren Allgemeinzustand ein?“
„Weit besser. Sie ist viel stabiler. Ich nehme an, dank der guten und regelmäßigen Mahlzeiten. Das hat mir von Anfang an Sorgen bereitet. Sie wollte für sich selbst nicht kochen und hat sich von Toast und Tee ernährt. Aber der heutige Abend hat ihr wirklich gefallen.“
„Das freut mich.“ Rocco musterte sie prüfend. „Und Sie? Hat Ihnen die Party auch gefallen?“ Er zögerte kurz. „Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Sie ein längeres Gespräch mit Shayna hatten.“
Emma wurde rot. „Ja … genau … Ein sehr Informatives.“
„Daran zweifle ich nicht“, bemerkte Rocco trocken, dabei hätte er am liebsten laut geflucht. Shayna liebte es, schlecht über andere zu reden. Mit Sicherheit war es ihr zu verdanken, dass Emma sich so
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