Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
er mich an sich herangelassen haben muss.
James nickt. »Und jetzt gibt es diese Freundschaft nicht mehr. Es schmerzt zu wissen, dass ich einmal etwas besessen habe, was nun nicht mehr existiert. Es ist, als hätte ich ein Loch in meiner Brust. Manchmal denke ich, dass dieser Schmerz mich umbringt.«
Ich verstehe, was er damit ausdrücken will. Diese Leere, für die es keinen Grund zu geben scheint. Etwas, was nicht wieder aufgefüllt werden kann. Ich weiß nun auch, was Realm meinte, als er gesagt hat, ein oder zwei Erinnerungen zu behalten könnte mich verrückt werden lassen.
James atmet tief durch, dann stellt er das Radio an. »Du machst den ganzen Spaß kaputt, Sloane. Das hier sollte uns beide aufheitern.«
»Du hast recht.« Ich lehne mich zurück und beobachte ihn. Ich mag den ruhigen, gelassenen Ausdruck auf seinem Gesicht. Zumal ich weiß, dass sich etwas Dunkleres darunter verbirgt. Und dass vielleicht die andere Seite dieser Dunkelheit leidenschaftliche Liebe ist.
Liebe, wie er sie einmal für mich empfunden hat.
James biegt auf eine schmale Straße ab, und wieder fallen mir die weißen Narben an seinem Arm auf. Unwillkürlich strecke ich die Hand aus, fahre mit dem Zeigefinger darüber.
James zieht hörbar den Atem ein.
»Entschuldigung«, sage ich und lasse die Hand sinken. »Ich habe mich nur gefragt, woher du sie hast.«
»Ist schon okay«, erwidert er. »Als ich zurückkam, habe ich meinen Dad gefragt. Er sagte, ich hätte dort ein hässliches Tattoo gehabt, das man mir im ›Programm‹ entfernt hat. Komisch, oder? Dass sie mir auch noch die Tinte von meinem Körper entfernen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir eine spezielle Botschaft für sie auf den Hintern tätowieren lassen.«
»Ziemlich drastisch, oder?«
Er lacht. »Sorry.« James schaut mich an, sein Blick wandert über mich, als würde er versuchen, aus mir schlau zu werden. »Es hat sich gut angefühlt«, sagt er. »Als du mich so berührt hast.«
Schmetterlinge flattern in meinem Bauch, aber James konzentriert sich wieder auf die Straße. Erneut strecke ich die Hand aus, meine Finger zittern leicht, als ich vorsichtig über die Narben fahre, den Linien folge.
Ich bemerke, wie sich seine Schultern lockern, wie sein Mund weich wird und er lächelt. Seine Haut ist so warm, und ich denke, dass ich es früher geliebt haben muss, ihn zu berühren. Ich beuge mich vor und hauche einen Kuss auf die Narben. Und dann richte ich mich wieder auf und blicke aus dem Seitenfenster. Mein ganzer Körper ist von Verlangen erfüllt.
»Ein kleiner Kuss, und schon ist alles wieder heil«, sage ich.
Stille herrscht, bis James schließlich antwortet: »Ja, das ist es.«
Mein Puls hat sich halbwegs beruhigt, als James unterhalb eines grasbewachsenen Hügels parkt. Er stellt den Motor aus und greift nach hinten, um eine Decke hervorzuholen.
»Hier sind wir«, sagt er und klingt zufrieden.
Ich blicke aus dem Fenster, und das Herz schlägt mir bis zum Hals.
»Stimmt was nicht?«, will James wissen.
»Es ist …« Ich versuche, gleichmäßig zu atmen, die Traurigkeit wegzuschieben. »Wir sind am Fluss«, sage ich.
»Okay, eigentlich ist es noch ein bisschen zu kühl, aber trotzdem ist es so herrlich hier«, erzählt er mir, als müsse er mich davon überzeugen. Als ob ich zum ersten Mal hier wäre.
Ich schaue ihn an, mit Tränen in den Augen. »Ich weiß. Brady hat mich immer hierher mitgenommen.«
James scheint enttäuscht und blickt auf das Handtuch, das er in den Händen hält. Ich sehe, dass er nach Erinnerungen sucht, und ich sehe auch sofort, dass er keine findet.
»Tut mir leid«, murmelt er. »Wir sollten …«
»Nein«, unterbreche ich ihn. »Ich liebe diesen Ort. Ehrlich.« Und ich meine es auch so. Wenn ich jemals einen Ort gebraucht habe, dann ist es dieser, weil ich mich hier meinem Bruder ganz nahe fühlen kann.
James scheint wieder zufrieden und steigt aus dem Auto. Er wartet auf mich, dann gehen wir gemeinsam über das Gras Richtung Ufer.
Der Fluss ist atemberaubend. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, kleine Wellen kräuseln sich um die größeren Felsen.
»Das ist noch besser als in meiner Erinnerung«, sage ich.
»Ich hatte gehofft, dass es dir gefällt.«
Ich schaue ihn von der Seite her an. »Du hast an mich gedacht?«
Er zuckt mit den Schultern, und ich frage mich, ob er das lieber nicht zugegeben hätte. Wir blicken auf das langsam dahinfließende Wasser, Vögel zwitschern in den Bäumen, die diesen Ort
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