Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
dürfen sie sich Freunde suchen – vorzugsweise solche, die »Das Programm« ebenfalls erfolgreich durchgestanden haben. Ich denke, die Betreuer sind der Meinung, wenn sie alle sauber geschrubbt sind, dann können sie keinen schlechten Einfluss mehr au feinander ausüben. Vor Miller hatte Lacey tatsächlich ein paar Dates mit Evan Freeman, doch sie sagte, er würde sie mit seiner Zunge nerven.
Es macht mich krank, dass sich Lacey jetzt mit ihm unterhält – mit ihm lacht –, ohne sich bewusst zu sein, dass er gar kein Fremder für sie ist. Es irritiert mich dermaßen, dass ich kaum damit fertig werde.
»Was meinst du, was sie dort mit ihr gemacht haben?«, sage ich vor mich hin, nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich wissen will.
»Sie haben sie seziert«, erwidert Miller und spuckt ein Stück Nagel aus. »Sie haben ihren Kopf geöffnet, die einzelnen Teile herausgenommen und anschließend zu einem Hallo-ich-bin-glücklich-Puzzle wieder zusammengesetzt. Es ist, als wäre sie überhaupt kein richtiger Mensch mehr.«
»Das wissen wir doch gar nicht«, widerspreche ich. »Ganz tief drin könnte sie doch immer noch dieselbe sein. Sie kann sich nur nicht mehr an sich selbst erinnern.«
»Und wenn sie sich nie mehr erinnern wird?« Er wendet mir sein Gesicht zu, eine Träne rollt über seine Wange. »Glaubst du ernsthaft, irgendetwas könnte wieder so sein wie früher? Sie ist leer, Sloane. Sie ist jetzt eine lebende Tote.«
Ich will das nicht glauben. Seit knapp zwei Jahren habe ich nun Rückkehrer erlebt, und obwohl ich mit keinem jemals mehr als ein paar flüchtige Worte in der Mall gewechselt habe, bin ich sicher, dass sie immer noch richtige Menschen sind. Nur … irgendwie aufpoliert. Strahlender, als ob ihnen alles ganz großartig erscheint. Ja, man hat sie einer Gehirnwäsche oder etwas Ähnlichem unterzogen. Aber sie sind nicht leer. Das darf nicht sein.
»Es wäre besser, sie wäre gestorben«, flüstert Miller mir zu.
Ich setze mich gerade hin und sehe ihn wütend an. »Du sollst so was nicht sagen«, halte ich ihm vor. »Sie ist nicht tot. Und wenn es so weit ist, werden wir es wieder versuchen. Vielleicht kennt sie dich ja nicht mehr, Miller. Aber ihr Herz wird dich immer kennen.«
Er schüttelt den Kopf, weicht meinem Blick aus. »Nein. Ich gebe auf. Ich lasse sie los. So, wie der Psychologe es mir geraten hat.«
Nachdem »Das Programm« sie weggeschickt hatte, wurden James, Miller und ich zu einer Intensivbehandlung verdonnert, zwei Wochen lang jeden Tag vertiefte Therapie, die über die übliche Ausfragerei hinausgeht. Wir sollten ihnen Details nennen, Dinge, die sie bei Laceys Behandlung verwerten könnten. Aber ich glaube, in Wirklichkeit wollten sie nur herausfinden, ob wir auch schon infiziert waren. Glücklicherweise waren wir es nicht.
Ich würde Miller so gern sagen, dass er nicht aufgeben soll. Dass er es aussitzen und dann versuchen soll, sie zurückzugewinnen. Doch im Grunde weiß ich, dass er recht hat. Lacey hat anders ausgesehen, sich anders benommen. Sie ist nicht mehr dieselbe. Wird es wahrscheinlich nie mehr sein.
Ich erinnere mich an das erste Mal, als Miller und Lacey sich begegnet sind. Ich hatte ihn zu unserem Tisch mitgenommen, weil ich die beiden einander vorstellen wollte. Aber Lacey stand noch in der Warteschlange an der Essensausgabe und stritt sich mit der Frau an der Kasse.
Lacey trug dieses lächerliche schwarz-weiß gestreifte Kleid, in dem sie aussah wie Beetlejuice, aber Miller bekam g leich diesen sehnsuchtsvollen Welpenblick. Er beugte sic h vor und erklärte James und mir, dass sie genau das Mädchen sei, das er sucht – ein Mädchen, bei dem seine Mutter garantiert die Krise kriegt.
Ich schubste ihn, doch James, der uns gegenüber saß, lachte auf. »Lass die Finger von ihr, Mann«, riet er mit einem Grinsen. »Sie ist wie eine schwarze Witwe. Typen wie dich verspeist sie schon zum Frühstück.
Aber Miller lächelte nur, als würde ihn die Vorstellung faszinieren. Lacey dagegen war nicht so einfach zu überzeugen. Aber schließlich kamen sie dann doch zusammen, und sie waren glücklich. O Gott, waren sie glücklich!
»Tut mir leid, Miller«, sage ich leise.
Er nickt, dann dreht er sich mir zu und umarmt mich. Meine Hand liegt auf seinem Nacken, als er mich so fest drückt, dass ich kaum Luft bekomme. Ich verkneife mir zu sagen, dass schon alles wieder in Ordnung kommen wird, weil ich mir nicht sicher bin, ob die geringste Hoffnung darauf
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