Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
»Das Programm« ist stolz auf seine Rückkehrer, darauf, dass sich immer mehr Leute freiwillig aufnehmen lassen. Und das Wellness Center bietet die perfekte Fassade.
Kommt und schaut euch die Ergebnisse an! Kommt und seht, wie strahlend und neu auch ihr werden könnt!
Ich stehe draußen vor der Tür, und alles in mir sträubt sich dagegen, hineinzugehen. Ich fürchte, all diese gesunden Leute werden mich auf den ersten Blick durchschauen, aber es gibt keinen anderen Ort, an den ich gehen kann. Ich muss stark sein.
»Du musst dich eintragen«, erklärt mir eine Frau am Schreibtisch, als ich im Eingangsbereich zögere.
Im großen offenen Raum hinter ihr herrscht geschäftiges Treiben, als ob es innerhalb dieser Mauern nichts gäbe, was uns Leid zufügen könnte. Und diese Mauern erstrahlen in Blau und Grün – kräftig und voller Energie. Mein Lächeln ist beinahe echt.
»Junge Dame?« Die Frau zeigt auf ihr Klemmbrett, an dem ein Stift mit einem Band befestigt ist. »Trag dich ein, damit du Punkte bekommst.«
Ich schreibe meinen Namen und meine Adresse auf das Blatt und lasse dann meinen Blick durch den Raum schweifen. Einzelne Gesichter sind mir vertraut – von Rückkehrern genauso wie von Normalen. Allerdings kenne ich keinen von ihnen besonders gut, das heißt, bis ich Lacey entdecke. Sie sitzt auf einer Couch und spielt mit Evan Freeman ein Videospiel. In einer Ecke steht ein Betreuer, doch es ist nicht derjenige, vor dem ich mich so fürchte. Er ist blond, steht einfach da und beobachtet Lacey schweigend.
Ich überlege, ob ich hinübergehen und mich ihr vorstellen soll, doch irgendetwas hält mich zurück. Mein Verstand weiß, dass Lacey mich nicht mehr kennt, und doch hoffe ich, dass James sich an mich erinnern wird. Auf einmal wird mir klar, dass ich etwas Unmögliches erwarte, doch es ist das Einzige, was mich noch aufrechterhält. Ich spüre, dass ich mir selbst jeden Tag ein Stückchen mehr entgleite, aber ich halte durch. Ich halte für James durch.
Ich frage mich, ob Lacey weiß, dass Miller tot ist, ob sie ihn irgendwo tief in ihrem Inneren vermisst. Uns alle vermisst. Kann »Das Programm« uns auch sämtliche Emotionen rauben, oder bleiben sie erhalten, jedoch ohne dass man sie zuordnen kann?
An einem Tisch auf der anderen Seite des Raums sitzt eine Gruppe Mädchen. Auch Kendra Phillips gehört dazu. Sie kichern und schlürfen Diät-Cola. Ich schlendere zu ihnen hinüber, doch bevor ich mich zu ihnen setze, schaue ich noch einmal zu dem Betreuer hin, der nun auf mich aufmerksam geworden ist.
Keins der Mädchen scheint mich zu erkennen, doch sie lächeln mich freundlich an, unterhalten sich dann weiter über Jungs und Klamotten, Themen, die mich nicht im Geringsten interessieren. Doch ich bin zu einer ziemlich guten Schauspielerin geworden, lache an den richtigen Stellen, verdrehe die Augen, wenn es angebracht ist.
Mein Herz tut so weh, doch ich weine erst, als ich allein bin, als ich auf der längeren Strecke durch die Gegend fahre, nachdem ich das Center verlassen habe. Niemand ist bei mir, der mir die Tränen wegwischt und mir versichert, dass alles gut werden wird.
Drei Wochen lang spule ich das immer gleiche Muster ab: lachen, weinen, lachen, weinen. Ich bin empfindungslos geworden, auf unbehagliche Weise empfindungslos. Doch es ist die einzige Möglichkeit, wie ich diese Zeit überleben kann.
Als mir schließlich der Gips abgenommen wird, blicke ich erleichtert auf meinen blassen Arm. James wäre so besorgt gewesen, hätte er bei seiner Rückkehr meinen eingegipsten Arm bemerkt. Ich hoffe, dass er sich beeilt.
Langsam vergehen die Tage.
Ich sitze am Tisch und lackiere meine Nägel in einem grässlichen Pink, während die anderen Mädchen über Ev an Freeman reden und wie verrückt er und Lacey aufeinander sind. Ich lasse mir nichts anmerken, tue so, als würde ich keinen von beiden kennen.
Die Eingangstür wird geöffnet, leise klingeln die Glocken, die über ihr angebracht sind.
Ich will mir gerade den Nagel an meinem Ringfinger vornehmen, blicke auf das purpurfarbene Herz, als ich bemerke, dass es im Raum auf einmal ganz still geworden ist. Endlich. Sie sind endlich gekommen, um mich abzuholen.
Erschöpft blicke ich auf, sicher, einen Betreuer vor mir zu sehen, der mich ins »Programm« bringen wird. Doch dann habe ich plötzlich das Gefühl, als ob sich der Boden unter mir aufgetan hat.
Ja, dort sind Betreuer in ihren gestärkten weißen Kitteln, aber zwischen ihnen steht
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