Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
James, den Kopf kurz geschoren. Er trägt ein kurzärmeliges Poloshirt, und selbst aus der Entfernung kann ich die weißen Stellen an seinem Arm erkennen. Man hat die Tattoos entfernt, Millers Namen zugenäht.
James’ Augen suchen den Raum ab, neugierig, aber ohne bestimmtes Ziel. Ganz anders, als er sich sonst immer umgeschaut hat. Sein Blick gleitet über mich hinweg.
Er ist zurück. Mein James ist zurück. Das ist der einzige Grund, weshalb ich nicht gestorben bin. Dies ist der Moment, für den ich weitergelebt habe.
James.
Sie führen ihn zu einem Stuhl nahe bei den Verkaufsautomaten, dorthin, wo eine Gruppe Jungen sitzt und Karten spielt. Die Betreuer erlauben James die ersten kurzen sozialen Kontakte hier im Wellness Center, wo sie ihn überwachen können. Er setzt sich hin, sagt jedoch kein Wort zu den Jungen am Tisch.
Die Betreuer blicken nicht in meine Richtung, es scheint so, als hätten sie keine Ahnung von unserer gemeinsamen Vergangenheit. Ich frage mich, ob das tatsächlich so ist oder ob sie lediglich versuchen, James’ Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. Wie auch immer, ich bin nur dankbar, dass der Dunkelhaarige nicht bei ihnen ist.
Ich lasse meinen Freund keine Sekunde aus den Augen, betrachte seine Kleidung. Er wirkt schmaler, als hätte er an Gewicht verloren, während er fort war. Mir gefällt nicht, dass sie ihm seine schönen goldenen Haare abgeschnitten haben, doch sie wachsen ja nach.
Schmerzhaft sehne ich mich danach, ihn zu berühren.
Mein Herz klopft, während ich seine gelassenen Bewegungen beobachte, Adrenalin rast durch meine Adern.
Die Mädchen um mich herum beginnen wieder mit ihren Unterhaltungen, leiser jedoch, als spürten sie die Veränderung in mir.
Ich warte auf den richtigen Moment, um mich James zu nähern. Ich werde nicht zulassen, dass mich irgendjemand von ihm fernhält. Ich muss in seine Nähe gelangen, damit er mich bemerkt. Er ist okay, hat überlebt, und nun ist er zurückgekehrt. Er und ich, wir werden für immer und ewig zusammen sein.
In diesem Moment legt James die Karten weg und steht auf, sagt etwas zu den Betreuern, als ob er wieder gehen wolle. Panik explodiert in meiner Brust. Er darf noch nicht gehen.
Als James sich zum Gehen umwendet, springe ich auf, werfe dabei fast mein Wasser um. Die Betreuer nehmen ihn in die Mitte und gehen mit ihm zum Ausgang. Ich muss irgendeine Möglichkeit finden, seine Aufmerksamkeit zu wecken. Er muss mich nur sehen, dann wird er sich bestimm t an mich erinnern. Er wird mich fragen, ob ich ihn anstarre. Er wird lachen. Er wird sich erinnern, das weiß ich.
Ich überlege, was er wohl tun würde, wenn er an meiner Stelle wäre. Irgendetwas Ungewöhnliches, Witziges. Ich streife den purpurfarbenen Plastikring von meinem Finger und ziele. Hole aus und werfe ihn. Er prallt gegen James’ geschorenen Hinterkopf. Er bleibt stehen, reibt sich die Stelle. Die Betreuer gehen weiter, verschwinden durch die Tür. Der Ring hüpft durch den Raum, bleibt nahe dem Schreibtisch liegen.
James dreht sich langsam um. Hält Ausschau nach demjenigen, der auf ihn gezielt hat. Ich stehe mitten im Raum, gebe mir nicht die geringste Mühe zu verbergen, dass ich es war. Der Blick seiner blauen Augen gleitet über mich hinweg, und mir kommt es so vor, als wüsste er Bescheid. Ich küsse jeden einzelnen Finger, hebe die Hand und werfe ihm die Küsse zu. Warte.
James starrt mich einen Moment lang an, reibt sich erneut den Kopf, als würde es wehtun. Dann wendet er sich ab, ohne ein Lächeln, ohne irgendeine Reaktion, und verlässt das Wellness Center.
Mein Magen knotet sich zusammen, immer enger. Ich hoffe, dass James zurückgerannt kommt, mich wiedererkennt, aber als es nicht geschieht, ist mir, als würde mein Herz stehen bleiben. Leere, tief und dunkel, umhüllt mich. Eine Träne rollt über meine Wange, doch ich mache mir nicht die Mühe, sie wegzuwischen. Warum sollte ich? Warum sollte es mich kümmern?
Als ich Atem hole, ist dies ein Laut, so voller Schmerz, dass sich Schweigen im Raum ausbreitet. Die Leute drehen sich nach mir um, beobachten, wie ich zum Ausgang stolpere, meinen Ring aufhebe, der so hell und hoffnungsvoll auf den Linoleumplatten liegt. Eine Ecke ist aus dem Herzen herausgebrochen.
»Honey?«, sagt die Frau am Schreibtisch mit belegter Stimme. Sie klingt besorgt.
Ich weiß, dass ich mich zusammenreißen und ihr antworten sollte. Dass ich ihr antworten muss. Doch stattdessen gehe ich nach draußen und wünsche,
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