Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
liegt. Ich trinke den Apfelsaft, mir wäre alles recht, Hauptsache, es vertreibt den Geschmack, der nicht aus meinem Mund weichen will.
Tabitha, die am anderen Ende des Raums sitzt, starrt mich an, als wäre ich ein Studienobjekt, doch dann senkt sie den Blick.
Ich überlege, ob Roger auch ihr die Pille angeboten hat. Ich würde es gern wissen, aber wie kann ich so etwas fragen? Und was, wenn er es nicht getan hat? Sie könnte mich v erraten, dann würde man mich woanders hinschicken un d alles noch länger dauern.
Ich vermisse Realm. Ich hoffe, dass Roger die Wahrheit gesagt hat, als er meinte, Realm käme bald zurück. Was ist, wenn sie ihm wehtun? O Gott, was ist, wenn sie mich aus seiner Erinnerung löschen?
In ebendiesem Augenblick sehe ich, dass Schwester Kell den Raum betritt, und ich springe auf und gehe zu ihr hinüber. Erst schaut sie mich alarmiert an, dann geschmeichelt, weil ich freiwillig zu ihr komme.
»Hallo, Sloane, Liebes. Fühlst du dich besser?«
»Ja. Aber … ist alles mit Realm in Ordnung?«
Sie lächelt, wieder hat sie etwas Großmutterhaftes. »Michael Realm geht es gut. Gerade jetzt kühlt er sich ein bisschen bei Dr. Warren ab. Er wird heute nicht in unserer Abteilung übernachten, fürchte ich. Aber ich hoffe, dass er morgen wieder zu uns stößt.«
Beinahe wäre ich in Tränen ausgebrochen. »Wird er sich an mich erinnern?«, frage ich mit ganz kleiner Stimme.
Schwester Kell schüttelt den Kopf, als wäre das eine dumme Frage. »Natürlich. Wieso sollte er denn nicht?«
Ich habe den Atem angehalten und atme nun wieder aus. Ich kann es einfach nicht ertragen. Dass sie alle so tun, als würde hier nichts Schlimmes passieren. Als würden sie uns hier nicht unsere Erinnerungen stehlen.
»Danke.« Das ist alles, was ich sagen kann, bevor ich den Raum verlasse und in den Flur laufe.
Ich lasse diesmal »Bullshit« ausfallen und bleibe stattdessen in meinem Zimmer, spiele Solitär mit den Karten, die Schwester Kell mir geliehen hat. Immer wieder lausche ich, hoffe, dass ich Realms Lachen auf dem Flur höre. Ich habe Angst, dass Roger draußen vorbeigehen könnte, schlimmer noch, dass er hereinkommt. Aber alles bleibt ruhig.
Ich schlafe ohne Mühe ein, ohne die Pillen schlucken zu müssen, die Schwester Kell mir bringt. Ich stehe früh auf, denn ich habe gleich einen Termin bei Dr. Warren, aber ich mache noch einen Umweg und schlendere an Realms Zimmer vorbei. Er ist noch nicht zurückgekehrt.
Ich betrete Dr. Warrens Büro, und sie strahlt, als würde sie sich wahnsinnig freuen, mich zu sehen.
»Gut siehst du heute aus, Sloane«, sagt sie.
Ich weiß, dass sie lügt, denn ich habe nicht geduscht und mir nicht einmal die Mühe gemacht, in den Spiegel zu schauen. Ich habe lediglich meinen Waschlappen in heißes Wasser getaucht und mir den Hals geschrubbt, um alle Spuren von Rogers Lippen zu entfernen. Ich habe mir die Haut bis aufs rohe Fleisch abgerubbelt, und mir fällt auf, wie Dr. Warrens Blick zu der roten Stelle gleitet, aber sie spricht mich nicht darauf an.
»Bevor wir beginnen …« Sie schiebt mir den Becher mit der roten Pille hin, aber ich schüttele den Kopf.
»Danke, aber das brauche ich nicht.«
Sie lächelt. »Du wirst die Pille nehmen, Sloane. Wir haben das doch alles bereits durchgekaut.«
Von dem, was Roger mir erzählt hat, weiß ich nun, dass diese Pillen Erinnerungen isolieren und sie markieren, damit sie später getilgt werden können. Ich will sie nicht in meinem Mund. Ich will sie unter meiner sockenbedeckten Ferse zermalmen.
»Haben wir?«, sage ich. »Vielleicht kann ich mich nicht daran erinnern.«
Dr. Warren presst die Kiefer zusammen. »Halte dich an die Regeln, wenn du entlassen werden willst.«
»Ich nehme sie nicht«, fahre ich sie an. Was wie ein ärztlicher Rat von ihr klingen sollte, hört sich eher wie eine Drohung an. Mein Ärger schäumt über.
»Letztes Angebot«, sagt sie und hält meinen Blick mit ihrem fest.
Ich beuge mich zu ihr vor. »Ich nehme die Scheißpille nicht, klar?«
Dr. Warren zuckt nicht mal zusammen. Sie lehnt sich gelassen in ihrem Ledersessel zurück. »Marilyn«, ruft sie jemanden hinter mir.
Eine große Frau in der weißen Tracht der Krankenschwestern marschiert herein, eine aufgezogene Spritze in der Hand. Noch bevor ich Zeit habe zu begreifen, was hier vor sich geht, spüre ich, wie die Nadel in die Haut meines Oberarms sticht.
»Was ist das?«, schreie ich und springe aus meinem Sessel auf.
»Reg dich nicht
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