Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
würde tatsächlich krank. Aber später in dieser Woche kam ich aus meiner Klasse und sah James bei den Spinden stehen, als habe er dort schon die ganze Zeit gewartet, und ich begriff, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Er hat keine Sekunde gezögert, als er mich erblickte, kam durch den Flur auf mich zu, umarmte mich und hob mich hoch und erdrückte mich fast. Ich wollte weinen, aber ich konnte nicht.«
»Es gibt gesündere Formen, seine Gefühle auszudrücken«, meint Dr. Warren. »Du hättest mit den Beratern reden können.«
Ich starre sie an und frage mich, ob sie das ernst meint, ob sie nicht weiß, zu welchen Extremen die Welt dort draußen greift, um uns zu »schützen«.
»Glauben Sie, was Sie wollen«, erwidere ich. »Aber die Betreuer suchen nur nach einem Grund, um uns hierherschleifen zu können. Deshalb sind wir doch einem solchen Druck ausgesetzt.«
Ich wende mich ab, denke daran, wie erleichtert ich darüber war, dass es James gutging.
»An jenem Tag hat er mich nach Hause gefahren und auch am nächsten. Allmählich begriff ich, dass wir uns nur dann normal verhalten konnten, wenn wir zusammen waren. Wir haben uns irgendwo verkrochen, wo wir weinen konnten und uns niemand dabei sehen konnte. Als die Wochen vergingen, redeten wir auch wieder über andere Dinge. Darüber, dass wir fortgehen würden, nur er und ich. Dass wir bis in alle Ewigkeit zusammenbleiben würden.«
Meine Brust weitet sich, als ich an unser erstes Mal denke, daran, welche Angst ich hatte. Wir hatten gezeltet, kuschelten uns auf einer Decke neben dem warmen Feuer aneinander. Ich war so verliebt in ihn.
Ich schließe die Augen und denke daran, wie James meinen Hals geküsst hat, wie heiß seine Lippen waren. Wie sanft seine Hände auf meiner Haut. Schon bald wurden seine Küsse leidenschaftlicher, schien er mich mehr zu begehren als je zuvor.
Er schob sein Knie zwischen meine Beine, doch als ich ihm sein Shirt über den Kopf zog, hielt er inne, ganz atemlos.
»Warte«, sagte er. »Wir sollten das nicht tun.«
Er hatte die Lider halb gesenkt, in seinen blauen Augen las ich Begehren. Lust. Ich zog ihn zu mir herunter und küsste ihn erneut, versuchte, seinen Gürtel zu öffnen, auch, als James noch einmal sagte, dass wir es nicht tun müssten. Er hatte Kondome mitgebracht, was mir zeigte, dass er zumindest in Betracht gezogen hatte, es könnte passieren, und wir benutzten sie, so, wie wir es auch später stets getan haben.
Ich öffne meine Augen wieder und sehe, dass Dr. Warren auf meine Geschichte wartet. Ich will ihr nichts erzählen, doch ich kann es nicht verhindern. Ich hasse es, dass ich es nicht verhindern kann, denn ich weiß, was es bedeutet. Sie wird mir diesen Moment stehlen, und schon allein die Vorstellung ist unerträglich.
»Es hatte nichts mit Hormonen zu tun«, sage ich, »als James und ich in jener Nacht zum ersten Mal Sex hatten. Es geschah aus Verzweiflung, Traurigkeit, und es war sogar ein bisschen schmerzhaft. Aber es war auch wunderschön und voller Hoffnung. Es war ein Versprechen, das wir einander gaben, dass wir den anderen immer beschützen würden. James sagte mir, dass er mich liebt, dass er niemals zulassen würde, dass mir etwas passiert. Ich habe ihm das Gleiche versprochen …«
Ich ersticke fast an meinen Worten. »Aber es war eine Lüge. Ich habe ihn nicht beschützt. Ich habe es so sehr versucht, aber ich war nicht stark genug. Sie sind gekommen und haben ihn weggeholt. Und jetzt liebt er mich nicht mehr.«
Ich bedecke mein Gesicht mit den Händen, beginne zu weinen und begreife, wie weh es tut, zu leben. Und dass ich mit diesem Verlust nicht leben will.
»Mir ist gar nichts mehr geblieben«, sage ich durch meine Finger. »Ich bin jetzt ganz allein.«
»Bist du nicht«, widerspricht Dr. Warren. »Ich will ja nicht behaupten, dass James ein schlechter Mensch war. Genauso wenig wie Brady oder Miller oder Lacey. Aber sie sind der wirkliche Grund, weshalb du hier bist. Sie waren infiziert, Sloane. Und sie haben dich angesteckt. Und nun musst du gesund werden. Dazu müssen wir, genau wie bei einem Krebsgeschwür, alles herausschneiden, was dich krank macht.«
Ich blicke sie an, hasse sie immer noch, doch der Schmerz, der in meinem Herzen wütet, hat den Hass vielleicht ein wenig geringer werden lassen.
»Hier.« Sie hält mir die gelbe Pille hin. »Nimm sie. Gib dir selbst neue Kraft, Liebes. Damit alles wieder gerichtet wird.«
Ich ziehe ihr Angebot in Betracht. Dann denke ich an Rogers
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