Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
zusammen. Plötzlich erkannte ich, dass es nicht Zorn war, der sein Gesicht verdunkelte, sondern Besorgnis. Er spähte zu seiner Familie hinüber, die von ihrer Bewachung soeben um die Ecke eines Hauses geführt wurde. Er fasste einen der Soldaten an der Schulter und raunte ihm etwas ins Ohr, aber es war bereits zu spät. Der Anführer der fünf Bewaffneten, die die Priester abführten, hatte ihn gesehen und versetzte seine Männer und die Gefangenen in Laufschritt, um zu ihm herüberzueilen. Lorenzo stieß einen Fluch aus und presste die Lippen zusammen.
»Idioten«, zischte Gutswalter. »Sie wollen Ser Lorenzo die beiden Kerle vorführen. Eine falsche Bewegung, und die Menge reißt sie in Stücke. Seht doch, wie die Wut auf die Leute hier überspringt. Zorn und Schmerz liegen nahe beieinander.«
Die Mienen der beiden Gefangenen, die mit ihren auf den Rücken gefesselten Händen unbeholfen heranstolperten, waren unterschiedlich. Dem größeren der beiden Männer stand die Todesangst so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie sich fast körperlich mitteilte. Seine Füße gerieten ständig durcheinander, und die zwei Soldaten neben ihm zerrten ihn mehr, als dass er sich selbst bewegte. Wenn man ihn losgelassen hätte, wäre er, vor Furcht gelähmt, zu Boden gesunken. Seine Augen und sein Mund waren angsterfüllte Löcher in einer verzerrten Grimasse. Das Gesicht des kleineren war so geschwollen und aufgeschunden, dass man kaum ein Mienenspiel erkennen konnte. Er schien sich seiner Verhaftung widersetzt zu haben und dafür mit vielen Faustschlägen belohnt worden zu sein. Wütend zusammengebissene Zähne bleckten in der Maske aus gerötetem Fleisch und angetrocknetem Blut.
»Der mit dem zerschlagenen Gesicht ist Maffei«, flüsterte Gutswalter. »Das ist der, der aus Rache für den Krieg gegen Volterra handelte. Der andere ist Stefano di Bagnone, einer von Jacopo de’ Pazzis hirnlosen Speichelleckern. Wenn ich richtig informiert bin, war er es, der den ersten Streich führte und Ser Lorenzo verletzte.«
Die Soldaten und mit ihnen der Zug aus johlendem Volk trieben die Gefangenen vor sich her und kamen vor uns zum Stehen. Diejenigen auf den Stufen von San Lorenzo, die noch nicht in das Innere der Kirche gelangt waren, stürzten zu uns herüber. Ich erkannte mit Unbehagen, dass wir plötzlich ebenso im Mittelpunkt des Interesses standen wie Lorenzo de’ Medici und die beiden mörderischen Priester. Ich erhielt einen Stoß in die Seite von einem Mann, der sich näher herandrängte und versuchte, mich mit der geistlosen Rücksichtslosigkeit des Gaffers beiseite zu schieben. Lorenzos Bewacher schlossen sich eng um ihren Herrn. Lorenzo sah sich wortlos um, und die Zunächststehenden wichen ein wenig zurück und schufen Platz um ihn herum. Gutswalter zog mich mit sich, und ich hatte zum zweiten Mal das zweifelhafte Vergnügen, ganz vorn mit dabei zu sein, als Lorenzo de’ Medici den zwei Männern gegenüberstand, die keinen Frevel gescheut hatten, um ihn umzubringen.
Die Wachen, die die Gefangenen herangeschleppt hatten, traten in die entstandene Lücke. Das Gesicht ihres Anführers glänzte vor Aufregung. Er trat vor Lorenzo de’ Medici und stieß so etwas wie eine Meldung hervor; dann wies er auf Maffei und Bagnone. Maffei starrte dem Medici ins Gesicht, während Bagnone schwankte wie ein Rohr im Wind. Stiefel hoben sich und traten den Gefangenen in die Kniekehlen, und beide fielen vor Lorenzo de’ Medici auf die Knie. Bagnone schrie auf und handelte sich eine Stiefelspitze in die Rippen ein. Lorenzo zischte dem Anführer der Wache etwas zu, und dessen triumphierende Miene zog sich erschrocken in die Länge. Er machte eine halbherzige Handbewegung zu seinen Männern, die Gefangenen in Ruhe zu lassen. Lorenzo holte Atem und trat etwas nach vorn. Über den Platz senkte sich plötzlich das Schweigen einer erwartungsvollen Menschenmenge, und nur im Hintergrund grölte eine heisere Stimme etwas, das ich als Aufforderung verstand, die beiden Gefangenen auf der Stelle zu erschlagen.
Lorenzo de’ Medici richtete das Wort an Bagnone, der ihn anstarrte wie der Delinquent den Scharfrichter. Bagnone zeigte keine Reaktion: In ihm war außer für Furcht kein Platz mehr. Sein Rücken war gespannt wie eine Bogensehne, und sein Oberkörper pendelte hin und her. Lorenzo befühlte den Verband in seinem Nacken. Er schien sich unwillkürlich zu fragen, wie es diesem zitternden Wrack gelungen war, ihm die Verletzung beizubringen.
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