Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
den Kopf zu, welches das echte ist.«
»Was wollte er von dir?«, fragte Jana.
Ich zuckte mit den Schultern. »Almosen, wie die meisten. Er war nur zu stolz, es zuzugeben.«
»Komm jetzt. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat der Kardinal doch die Geduld verloren und einen seiner Speichellecker nach vorn geschickt, um den Wachen klar zu machen, dass er jetzt hier ist. Wenn sie ihm den Weg freimachen, heften wir uns an seine Fersen.« Sie betrachtete Kardinal Riario, der mittlerweile einen aufregenden Zeitvertreib ersonnen hatte: Er schleuderte kleine Münzen aus seinem Almosenbeutel nach vorn unter die Menge und versuchte die Leute zu treffen. Wann immer einer der Getroffenen zusammenzuckte und sich umsah, machte er ein unschuldiges Gesicht. Bis der Getroffene bemerkte, was ihm an die Ohren geschleudert worden war, hatte sich längst einer der Umstehenden der Münze bemächtigt. Riarios Gesicht war rot vor unterdrücktem Lachen. »Man merkt, dass wir uns dem Einflussbereich des Papstes nähern – wenn solche Kindsköpfe zu Kardinälen ernannt werden.«
Tatsächlich war der Name des Kindskopfs klingend genug, um eine Dreiermannschaft von Torwächtern einen Weg durch die Menge stoßen zu lassen; nicht eben rücksichtsvoll und das Gebrumme der Leute hervorrufend. Kardinal Riario und sein Tross benutzten die Gasse, wobei der Kardinal huldvoll nach allen Seiten grüßte und die Münzgaben aus seiner Richtung wieder auf eine weniger lebensgefährliche Heftigkeit drosselte. Die Leute winkten zurück und balgten sich um die Münzen und wünschten ihm ein langes Leben, völlig vergessend, dass sie gerade noch um seinetwillen geknufft und zusammengeschoben worden waren. Wir machten schleunigst, dass wir in sein Kielwasser kamen.
Bis zur Zollstelle vorzudringen war keine Schwierigkeit. Die Zolleintreiber warfen dem Kardinal nur einen kurzen Blick zu und begannen dann, ihn und seinen Tross durchzuwinken. Jana versuchte, den Anschluss nicht zu verlieren; sie hoffte, zur umfangreichen Entourage Riarios gerechnet zu werden und gleich ihm zollfrei das Tor passieren zu können. Sie drehte sich zu mir um, und ich nickte ihr zu, während ich mich zurückfallen ließ. Condottiere Montesecco schien lediglich die Aufgabe gehabt zu haben, den Kardinal sicher zur Stadt zu geleiten, oder außerhalb der Tore warteten noch andere Aufgaben auf ihn; ich sah, wie er sich mit einem knappen Kopfnicken von Riario verabschiedete und sein Pferd zur Seite lenkte. Stepan Tredittore zögerte unschlüssig, aber auf meinen Wink schloss er sich Jana an, die bereits die Rossknechte mit den Packtieren zwischen die Pferde des Kardinals manövriert hatte. Ohne dass die Zöllner zweimal aufgesehen hätten, ließen sie alle miteinander passieren. Ich fing ein triumphierendes Lächeln Janas auf, bevor die Schatten des Torturms sie verschluckten. Die Menschen, die ebenfalls nach Florenz hineinwollten, drängten wieder zu mir heran. Ich sah mich nach Johann Kleinschmidt um.
Ich hatte meinen Schwiegersohn nur zweimal gesehen: als er um die Hand meiner Tochter anhielt und als er sie zum Traualtar führte. Beim zweiten Mal hatten schlecht unterdrückte Tränen meinen Blick getrübt – Tränen, die ich nicht so sehr um den Weggang meiner Tochter als um die Erinnerung an die Hochzeit mit meiner Frau vergoss. Ich besaß eine vage Erinnerung an einen breitschultrigen jungen Mann mit dunklem Haar. Maria hatte einmal geschrieben, ihr Ehemann sei hübsch, mit einem freundlichen Gesicht. Ich war mir nicht sicher, dass ich ein freundliches Gesicht auf Anhieb als solches erkennen würde, und ich ahnte, dass Marias Beschreibung bestenfalls voreingenommen war. Vielleicht hätte ich sie aufsuchen sollen, bevor ich mit Jana in Ulm zusammentraf; Augsburg wäre auf der Strecke gelegen. Doch zu jenem Zeitpunkt vor zwei Jahren war mir das Wiedersehen mit Jana wichtiger gewesen, und danach war niemals genügend Zeit vorhanden, von den verschiedenen Städten des Reichs aus einen Abstecher nach Augsburg zu machen, um meine Tochter zu besuchen.
Natürlich wäre Zeit gewesen; und natürlich hätte ich sie treffen sollen.
Ich hatte es nicht gewagt. Maria, meine zerbrechliche, zarte, dunkle Maria, die nach dem Schock über den Tod ihrer Mutter einen Vater gebraucht hätte, der sich um sie kümmerte, statt selbst in Düsternis zu versinken. Ich hatte die Gelegenheit verschenkt und die Jahre dazu, die ich mit ihr hätte haben können; mit ihr, mit meiner älteren Tochter Sabina und
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