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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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zu ihr hinüber und rissen sie in die Höhe. Ihr Anführer lächelte mich mit seinem Wolfslächeln an, bewegte den Finger vor meinem Gesicht, dann warf er sich herum und sprintete zu seinen Kumpanen. Sie schleppten sie davon, obwohl sie sich laut schreiend wehrte, und ich wusste, dass sie sie zurück in das Haus zerrten und dort mit dem weitermachten, was sie begonnen hatten, bevor der alte Mann zu fliehen versucht hatte. Möglicherweise hatte sie mir das Leben gerettet. Der alte Mann lag still in der Gasse, ein Häufchen teurer Gewänder, über dem das verloschene Licht vor einer Marienikone in der Wand des Hauses an seiner langen Kette hin und her schwang. Die Heilige Jungfrau hielt ihr Kind auf dem Arm und starrte lächelnd ins Nichts. Niemand öffnete auch nur einen Fensterladen oder erkundigte sich, ob noch Leben in dem Häufchen steckte.
    Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht und bemühte mich, einen lauten Schrei und meinen Mageninhalt zurückzuhalten. Nach einer Weile bewegte ich vorsichtig meine Beine und bog nach Süden ab, wo sich der Turm des Palazzo della Signoria erhob, den die Scharen des alten Pazzi gestern vergeblich zu stürmen versucht hatten. Wovon ich Zeuge geworden war, hatte sich an vielen Stellen in der Stadt vermutlich die ganze Nacht über abgespielt und würde auch heute noch geschehen; nur eine bedeutungslose Episode in den Nachwehen einer missglückten Revolution, und meine Feigheit war nicht größer als die aller Nachbarn, die jahrelang mit den Unglücklichen zusammengelebt hatten.
    Schließlich erreichte ich die schmucklose Fassade einer kleinen Kirche; der mächtige Bau des Palazzo della Signoria ragte zu meiner Rechten auf. Die Luft stand auch hier ohne Regung, aber es roch zusätzlich nach den scharfen Ausdünstungen von Ställen. Von der Rückfront des Palastes hörte ich das dumpfe Röhren eines Tiers. Ich erinnerte mich, dass mein Schwiegersohn in seiner Wortflut etwas von Löwenkäfigen erzählt hatte. Das Brüllen klang ebenso deplatziert wie mordgierig. Ich vermutete, sie rochen das Blut auf dem Platz, das bei dem gestrigen Kampf um den Stadtpalast vergossen worden war.
    Die Löwen rochen vor allem das Aas. Sollte wirklich Blut auf dem Pflaster gewesen sein, hatte sich jemand die Mühe gemacht, es abzuwaschen. Die gleiche Gründlichkeit hatte jedoch auch dazu geführt, dass man einige Gehenkte demonstrativ nebeneinander an einem Eckfenster des Gebäudes aufgereiht hatte. Der Leichengeruch mochte den Löwen auf der Rückseite des Palastes in die Nüstern gedrungen sein. Ich schlug einen Bogen um die Toten herum. Einer davon war der Mann, der gestern im Hemd an mir vorbeigeschleppt worden war: der eine von Giuliano de’ Medicis beiden Mördern. Er trug noch immer das Hemd mit dem Blutfleck. Man hatte nicht einmal der Schicklichkeit gehorcht und es unten zugebunden; wer wollte, konnte sich unter ihn stellen und zu seiner Nacktheit in die Höhe starren.
    »Heilige Verena, bitte für ihn«, sagte ich unwillkürlich, dann trocknete mir der Mund aus, als mir der Leichnam im Ornat eines päpstlichen Prälaten auffiel. Ich starrte in sein dunkel verfärbtes Gesicht; doch es war nicht Raffaelle Riario, sondern ein mir unbekannter Mann. Zu viert hingen sie dort oben, der Bischof, der halb nackte Attentäter und noch zwei andere in den feinen Gewändern reicher Patrizier. Die Glocke über ihnen im Turm läutete für den Mann, den sie auf dem Gewissen hatten. Ich eilte weiter die breite Gasse hinauf, als mir der Gedanke kam, dass die Glocken vielleicht auch für Lorenzo de’ Medici läuteten. Gutswalter hatte gesagt, er sei wohlauf, aber das hatte er daraus geschlossen, dass Lorenzo gestern zu seinen Anhängern gesprochen haben musste. Wer konnte wissen, ob er nicht in der Zwischenzeit doch gestorben war? Wenn Lorenzo de’ Medici tot war, würde es niemanden mehr geben, der die rasenden Vollstrecker aufhielt, und die Toten, die am Stadtpalast hingen, würden in schrecklicher Eile Gesellschaft bekommen. Ich dachte an die Sklavin in Prato und ihren Leidensweg bis zum Fluss. Was immer sich das Gericht in Florenz in einem solchen Fall ausdachte, Jana würde danach dem Bischof und seinen Gefährten an der Mauer des Stadtpalastes Gesellschaft leisten. Was ich auch tat, es blieb mir nicht viel Zeit dazu.
     
    Die Tür zu Vespuccis Haus stand weit offen; wenn dies noch nicht gereicht hätte, um mir klar zu machen, dass die Plünderer auch hier gewesen waren, hätten die Trümmer des

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