Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
anderen schritt, und das Aussehen des Viertels machte diesem ersten Eindruck alle Ehre. Bislang hatte ich ärmliche Häuser und reiche Paläste Seite an Seite gesehen und den Eindruck gewonnen, dass Pöbel und Patriziat in Florenz miteinander lebten, anstatt sich voneinander abzugrenzen. In der Straße der Tuchfärber jedoch war das Gleichgewicht eindeutig verschoben.
Die Häuser unterschieden sich nur in ihren Verfallsstadien voneinander; ein halbwegs anständiger Bau mit den jetzt geschlossenen Arkaden einer Bank oder Geldwechselanstalt am Anfang der Straße machte den heruntergekommenen Eindruck der anderen Gebäude nur umso deutlicher. Die Gerüche von schlecht gewordenem Fleisch und Fisch lagen über dem Straßenpflaster, zusammen mit dem bleiernen Duft aus den Tuchfärberwerkstätten und dem dumpfen Gestank des Flusses, der hinter den Häusern träge und wie ölig vorbeirollte und die Dünste von abgestandenem Schlick, brackigem Wasser und Kloaken ausströmte. Der Himmel lag nun dicht über den Hügeln im Westen der Stadt, nicht mehr gleißend, sondern dunkelfarben und wie eine sich immer mehr verfinsternde Decke. Wenn es dort bereits donnerte, war es wegen des betäubenden Dröhnens der Glocken nicht hörbar. Ich wischte mir den Schweiß aus dem Nacken und sah mich um.
Die Gasse war belebter als diejenigen in den besseren Vierteln der Stadt, und niemand trug wie dort Trauerkleidung. Die Menschen, magere Männer mit gleichgültigen Gesichtern zumeist, auf denen Stoppelbärte prangten und die nichts oder nur Lumpen auf den sehnigen Oberkörpern trugen, drückten sich jedoch in die Zugänge der Häuser, lehnten sich dort an die Torbögen und Türlaibungen und spähten aus dieser Deckung hervor. Wenn ich einen ansah, waren seine Augen stets abgewandt; doch ich spürte die Blicke all seiner Genossen auf mir. Verspätet kam mir der Gedanke, dass sie mich womöglich als legitime Beute ansahen und meinen Wert einzuschätzen versuchten. Von den Frauen, die gleich den Männern in den Türen hockten oder auf den um manche Häuser herumlaufenden Steingesimsen saßen, waren die meisten Huren. Pendants zu den verblichenen gelben und roten Bändern in ihren Haaren und den tiefen Ausschnitten ihrer Dekolletes hingen schlapp aus den Fenstern verschiedener Häuser. Sie sahen mich schläfrig an, ohne mir Angebote zu machen. Ich wich einem Schweinekoben aus, der einfach an eine Hausmauer gebaut war und mehrere reglos daliegende, schmutzigfarbene Körper beherbergte, und einem nackten Kind, das mit undefinierbarem Dreck klumpige Muster formte.
Ich nahm mir ein Herz und marschierte auf eine Gruppe zu, die aus Männern und Frauen bestand, deren Letztere nicht die bunten Bänder trugen und die üppigen Formen mehrfacher Mütter besaßen. Sie bewegten sich nicht und blinzelten mich nur halb interessiert an, als ich vor ihnen stehen blieb.
»Lapo Rucellai?«, fragte ich.
Die Männer wechselten ein paar Blicke; die Frauen schauten zu Boden. Ich sah, dass eine von ihnen hochschwanger war und sich gegen eine ältere Matrone lehnte. Mit dem Gedanken, dass ich womöglich einen Fehler beging, fasste ich in meine Gürteltasche und holte zwei florentinische Münzen hervor. Verfolgt von misstrauischen Blicken drückte ich sie den beiden Frauen in die Hände. Die ältere nickte mir zu, ohne das Gesicht zu verziehen. Als ich wieder aufblickte, wies einer der Männer mit dem Kinn schräg über die Straße.
»Dort drüben?«, fragte ich. »Dort wohnt Lapo Rucellai? Il notaio?«
Der Mann zuckte mit den Schultern und sah wieder durch mich hindurch.
Es war ein heruntergekommener Palazzo in der Art des Hauses von Piero Vespucci. Die Torflügel standen offen. Dahinter begann ein enger Gang, in dem absolute Dunkelheit herrschte. Vage ließen sich links und rechts Türen erkennen. Hinter einer erscholl ein gleichmäßiges Klopfen. Ich stieß sie auf und sah in eine schlecht beleuchtete Werkstatt, in der ein alter Mann ein dickes Lederstück mit einem Hammer bearbeitete. Er blickte auf, ohne in seinem Hämmern innezuhalten. Er war allein in der Werkstatt, die nach fauligen Häuten roch und mit ihm, seinem Tisch und einer offen stehenden Truhe mehr als vollgestellt war. Die gegenüberliegende Tür war verschlossen und wurde auch durch mein Klopfen nicht geöffnet. Endlich wurde mir klar, dass ich mich im Tordurchgang des Gebäudes befand, der sich durch das Einziehen zweier Wände in einen engen Gang verwandelt hatte und zu beiden Seiten zwei
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