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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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den ungepflasterten Kirchplatz der großen Basilika nördlich vom Corso dei Tintori betrat, entschloss sich das Unwetter, über Florenz herzufallen. Die erste Bö war eher zu hören, als man sie spüren konnte. Sie näherte sich mit einer Salve von knallenden Fensterläden, presste die Luft in den Winkeln und Gassen zusammen und heulte um die Ecken, einen meterhoch wirbelnden Schleier aus Staub und Abfall vor sich hertreibend. Ich schnappte nach Luft; Staub und Steinchen prasselten auf mich und umtanzten mich, und ein warmes Toben hüllte mich sekundenlang ein. Ich machte, dass ich unter einen Dachvorsprung kam. Die zweite Bö ritt auf einer ganzen Welle weiterer Windstöße heran, die sich schier verschluckten und ins Atemholen der ersten sofort das Heulen der nächsten schickten. In wenigen Augenblicken brachten sie kühle Luft heran, die nach der vorangegangenen Schwüle fast eisig wirkte. Der Kirchplatz war verschleiert vor Staub; er wirkte hell gegen den tief hängenden Himmel, doch schon erschienen die ersten dunklen Punkte darauf. Die Wassertropfen waren groß. Wenn sie zerplatzten, wirbelten sie Staub auf wie ein Geschoss, das in den Boden fährt. Der Staub verschluckte die dunklen Punkte – noch. Ich kniff die Augen zusammen und spähte in die Wolken. Ein ängstlicherer Mann (oder einer, in dessen Herz noch für weitere Sorgen Platz gewesen wäre) hätte sich vor dem Anblick entsetzt: ein Durcheinander aus flatternden Wolkenfetzen, fahlgelbem Leuchten und einem abgründigen Strudel. Zwei, drei plötzliche Blitze, dann kam das Wasser herab wie eine massive Wand.
    Als hätte der Regen Schleusen geöffnet, begannen Blitze durch die Regenwand zu peitschen, und das stete Rollen des Donners verwandelte sich ein unregelmäßiges Aufbrüllen, das emporflackerte, noch während der vorhergehende Donner ausrumpelte. Das Rauschen des Regens war fast genauso ohrenbetäubend. Der helle Staub des Kirchplatzes sprang hoch wie unter Explosionen und färbte sich dann schwarz, färbte auch die hochspritzenden Tropfen und sah plötzlich aus wie die Oberfläche eines sturmgepeitschten Sees. Das Wasser schlug bis in mein Gesicht. Das andere Ende des weiten, längsgestreckten Kirchplatzes war kaum noch zu erkennen.
    Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung bei der Fassade der Kirche. In dem donnernden, heulenden und rauschenden Inferno scheinbar lautlos, schwang das Portal auf, und ein halbes Dutzend Reiter sprengte auf den Platz hinaus. Eines der Pferde hatte etwas an den Sattel gebunden; etwas, das ich durch den Regen nicht erkennen konnte und das schwer durch den Dreck auf dem Platz schleifte. Die Pferdehufe stampften den Schmutz erst recht auf, die Tiere schlugen aus und keilten vor Schreck über den Gewittersturm, eine wirbelnde Masse aus Leibern und Beinen; und noch immer war kein Ton von ihnen zu hören. Sie setzten sich in Bewegung, kaum dass die Pferde halbwegs gezügelt waren, und sie erinnerten mich an das rücksichtslose Heransprengen Jacopo de’ Pazzis und seines Trupps auf dem Prato. Dann erkannte ich, als sie an mir vorüber in Richtung auf die Piazza della Signoria galoppierten, warum dieser Vergleich nicht einmal schlecht war: An einem Strick um den Hals, der an den Sattel des Pferdes vor ihm gebunden war, schleifte der Leichnam des Jacopo de’ Pazzi nackt über den Kirchplatz, sein langes weißes Haar immer dunkler und grauer werdend. Jetzt hörte ich die jungen Männer auf den Pferderücken pfeifen und johlen; der Schlamm spritzte bis zu mir herüber, als sie vorbeijagten und hinter dem Regengepeitsche in einer der Gassen am Westende des Platzes verschwanden. Der Tote rutschte holpernd und sich am Strick drehend hinter ihnen her. Ich sah ihnen schwer atmend nach. Vor meinen Augen vermischte sich der geschändete Leichnam des alten Mannes mit Jana. Plötzlich hielt ich es nicht mehr in meiner dürftigen Deckung aus. Meine Beine rannten los, und ich hetzte mit fliegendem Puls über den Platz, in wenigen Augenblicken durchnässt. Das Wasser lief mir in die Stiefel, der zähe Schlamm, in den sich der Kirchplatz verwandelt hatte, zerrte an meinen Füßen. Ich rannte blindlings, ohne zu wissen, wohin: ein entsetzter Mann, den die heulende Panik durch den Sturm trieb.
     
     
    4.
     
    V
    or einem Gebäude lief ich in einen Mann hinein, der mich packte und festhielt. So plötzlich, wie der Irrsinn über mich gekommen war, ließ er nach. Mein Atem jagte, und ich stützte mich auf den unbekannten Helfer. Als ich mir

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