Duell der Magier 01 - Unter den magischen Monden
kühle Gelassenheit wie üblich. Sie fragte sich, was nun käme, sicherlich etwas ganz Besonderes. Sie trat vor ihn und stand ganz gerade.
»Du bist nun seit vier Jahren hier.« Seine Augen wanderten mit ausdruckslosem Blick über ihre Schulter zu der glasglatten Steinwand. »Du hast dich als außergewöhnlich lernfähig erwiesen. Diese Feststellung macht mir viel Freude.«
Serroi holte tief Luft und fühlte sich unbehaglicher als zuvor. Was er nun sagte, hätte von der herzlichen, freundlichen Seite kommen sollen, doch so ähnelten seine Worte dem falschen Lächeln, das er manchmal trug, erfolgten ohne Gefühl und sollten nur ihre Empfindungen beschwichtigen. Sie wußte, daß er diese Empfindungen nur sehr begrenzt verstand. In den vergangenen vier Jahren hatte sie gelernt, sich mit diesen Grenzen abzufinden und, soweit sie das konnte, ihre vehementeren Reaktionen auf sein Verhalten zu unterdrücken. Vor einem Jahr hatte die Eifersucht sie verzehrt. Das hatte ihn zuerst erschreckt, dann amüsiert. Sie hatte Kummer erlitten, aber ihn erheiterte das.
»Du hast mich einmal gefragt, warum ich dich von deiner Sippe auserwählt habe. Erinnerst du dich?« Sie nickte, ihr Blick haftete auf seinem Gesicht.
Er hielt die Hände von sich gestreckt, erst mit nach vorne gewandten Innenflächen, dann mit den Handrücken nach außen. Nach einer Minute ließ er sie auf die dunklen Steinarmlehnen sinken und ließ sie fast damit verschmelzen. »Hände«, sprach er. »Meine Hände. Sie haben große Macht, das weißt du.« Er trommelte mit den Fingern auf den Stein. »Aber es gibt Grenzen. Wir vermögen das Leblose zu verwandeln und zu manipulieren. Der Griff nach dem Lebendigen bleibt uns versagt. Ich brauche ein Tor in dieser Mauer. Dich.« Er lehnte sich in seinem Thron zurück, lächelte distanzierter als jemals zuvor und war ganz das Elfenbein- und Ebenholzabbild eines Menschen. »Du bist mein Tor, Serroi.«
Vorahnungen und Erregung wirbelten durch Serroi, bis sie ganz benommen war. Sie verstand wenig von dem, was der Noris sagte, doch sie begriff, wie wichtig sie in seinen Augen war, und glühte bei dem Gedanken. Trotzdem hatte sie noch Angst und wußte nicht so recht warum.
»Sieh mich an, Serroi.«
Wieder streichelte sie den Chini und hob dann ihren Blick, um den seinen zu erwidern. Die glänzenden, schwarzen Kreise wurden größer und größer, bis sie nur noch Finsternis sah. Sie weinte, fühlte die Tränen aus ihren Augen rinnen und die Wangen hinabkullern, während von dem Noris eine schreckliche Kälte auf sie überströmte und alles erstickte, was sie empfunden hatte, Zorn und Freude, Liebe und Verzweiflung. Er verbreitete solche Kälte, daß nichts Warmes in ihr zurückblieb, das die Tränen trocknete.
Etwas kroch in ihren Körper. Sie fühlte, wie ihre Finger zuckten, ihre Arme sich bewegten. Sie fühlte, wie unter dem Druck des Eindringlings der Augenfleck erwachte und seine unsichtbaren Finger ausstreckte. Ihr Körper rührte sich. Sie saß gefangen in Mauern aus Eis, und der warme Keim, der ihr Wesen ausmachte, mußte voll der Trauer zusehen, wie ihr Körper ungeschickt neben dem winselnden Jährling auf die Knie ging. Ihr Körper beugte sich nach vorn, bis ihr Gesicht an den Chini gepreßt war und ihre Stirn das weiche, graue Fell seitlich an seinem Kopf berührte. Der Chini erstarrte. Sie fühlte, wie das Ding in ihr durch ihren Augenfleck aus ihr herausströmte und in ihn kroch.
Der Jährling bewegte sich ruckartig von ihr fort. Sie hörte ihn winseln, dann knurren, sah ihn hochspringen, sich niederkauern, über den Stein kriechen und mit krampfhaften Zuckungen der Pfoten über den Boden kratzen. Er begann zu jaulen. Sie fühlte seinen Schmerz. Der erstarrte Teil ihrer selbst sah kritisch zu, während die winzige, weiche Stelle, wo sie wirklich lebte, nichts tun konnte als unendlich in der Dunkelheit zu trauern. Ihr Körper saß mitten im Raum zusammengekauert, während der über sie wirkende Noris den Chini in Stücke riß, ihn hetzte, bis ihm der Schaum vor dem Maul stand, er mit voller Wucht gegen die Wände rannte, nach sich selbst schnappte und Fetzen Fleisch und Fell herausbiß. Schließlich starb der einjährige Chini unter dieser Folter, nachdem man ihn herumgehetzt hatte, bis sein Herz vor Schmerz und Erschöpfung aufgab.
Der Teil des Noris, der über sie gewirkt hatte, zog sich zurück. Sie fühlte, wie die Kälte sie durchströmte, und sie konnte sich nicht bewegen. Da ihr Vertrauen plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher