Duell: Island Krimi (German Edition)
Ragnars Mutter Klara durch den Kopf, das morgens stattgefunden hatte.
Ragnars Eltern hatten all diese Nachrichten über die Ausländer, über die mysteriöse Frau und Hinrik gelesen, der nach einigen Tagen Untersuchungshaft wieder entlassen worden war. Sie hatten sich jedes Mal gemeldet, wenn die Blätter über etwas Neues berichteten, entweder riefen sie an oder erschienen persönlich bei der Kriminalpolizei in Borgartún. Sowohl Albert als auch Marian hatten versucht, sie so weit wie möglich über den Stand der Ermittlung auf dem Laufenden zu halten, und sie hatten die beiden jedes Mal davor gewarnt, das, was in den Zeitungen stand, für bare Münze zu nehmen.
Albert hatte noch einmal Ragnars Mutter Klara besucht und musste wie zuvor über Bauholz und rostige Armierungsgitter steigen. Das neue Viertel breitete sich mit enormer Geschwindigkeit auf den Hügeln aus, jeden Tag entstanden neue Straßen, Häuser schossen aus dem Boden, und Spielplätze füllten sich mit Kindern, die sich wiederum selbst kleine Hütten aus Abfallholz zusammenzimmerten. Sowohl die Einwohner als auch die Gebäude zeugten von so etwas wie Pioniergeist. Albert hätte Klaras Fragen gerne beantwortet, aber das Wenige, was er sagen konnte, war nicht dazu angetan, ihr Trost zu spenden. Er wollte auf keinen Fall auf Marians Theorie eingehen, dass sich im Hafnarbíó ein Russe und ein Amerikaner getroffen hatten. Es lag kein ausreichendes Beweismaterial vor, um das Treffen zweier Menschen mit dem Mord an Ragnar in Verbindung zu bringen, zumal man gar nicht wusste, um welche Männer es sich handelte oder wie man sie ausfindig machen konnte. Im Grunde genommen war es noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt existierten.
»Du kannst mir also gar nichts Neues sagen?«, fragte sie in ihrer bescheidenen und gefassten Art. »Seid ihr überhaupt nicht weitergekommen?«
»Wir arbeiten Tag und Nacht an dem Fall«, antwortete Albert, »aber er scheint sehr viel komplizierter zu sein, als wir zunächst glaubten.«
»Wer könnte ihm denn so etwas angetan haben?«, fragte Klara zum wiederholten Male.
»Wie ich dir bereits gesagt habe, gibt es keinen Grund, etwas anderes anzunehmen, als dass es sich um einen schrecklichen Zufall gehandelt haben muss. Der Mord war nicht im Voraus geplant. Dein Sohn war der falsche Mensch am falschen Platz zur falschen Zeit. Und genau deswegen ist es so schwierig, die Gründe dafür ans Licht zu bringen. Er ist da einfach in eine Situation geraten, der er nicht gewachsen war. Aus diesem Grund ist er nicht mehr am Leben.«
»Wegen seines Kassettenrekorders?«
»Er ist nach wie vor der einzige Grund für den Mord, den wir uns vorstellen können.«
»Mit anderen Worten, er hat etwas aufgenommen, was nicht bekannt werden durfte?«
»Ja.«
Klara schwieg eine ganze Weile, das Einzige, was man hörte, waren entfernte Hammerschläge.
»Das ist erbärmlich wenig«, sagte sie schließlich.
»Wir sagen sofort Bescheid, wenn wir mehr Informationen haben«, entgegnete Albert.
»Ich … Es ist so komisch, ich bin heute Morgen in sein Zimmer gegangen, um ihn zu wecken«, sagte Klara.
Sie sah Albert an.
»Ich bin früh aufgewacht und war noch gar nicht richtig wach. Ich stand auf einmal in seinem Zimmer, und da erst erinnerte ich mich, dass er gar nicht dort sein konnte. Ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist. Vielleicht war es, weil ich die ganze Nacht von ihm geträumt habe. Einen Moment lang war es so, als wäre er immer noch hier. Dass alles wieder beim Alten wäre. Doch dann …«
»Wir melden uns, sobald wir mehr wissen«, sagte Albert nach längerem Schweigen. »Das verspreche ich dir.«
Als Albert den Rasen gemäht hatte, harkte er das Gras zusammen und stopfte es in einen Müllsack. Anschließend half er seinem Vater, der die Garage aufgeräumt hatte, das ausrangierte Gerümpel auf einen kleinen Anhänger zu laden. Seine Töchter, die sich unterdessen in Omas Küche mit Plätzchen und Limo versorgt hatten, kamen kreischend zum Wagen gerannt. Albert setzte vorsichtig zurück auf die Straße und fuhr zur Müllkippe in Gufunes, wo er den Anhänger ablud. Die Mädchen beobachteten ihn dabei durch das Rückfenster. Als er einen alten Schlitten in der Hand hielt, überlegte er einen Augenblick. Paula öffnete die Autotür und rief:
»Wem gehört der Schlitten?«
»Irgendwann hat er mal mir gehört, aber er ist kaputt«, sagte Albert.
»Warum willst du ihn wegschmeißen?«
»Weil er kaputt ist«, sagte Albert
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