Dünengrab
Andererseits könnte sie vielleicht die Splitter verwenden, falls der Behälter zerbarst. Plastik war sehr scharf. Schließlich beschloss Vikki, es darauf ankommen zu lassen, und verstand im nächsten Moment, dass sie zu lange gezögert hatte, als sie die dumpfen Geräusche hörte. So klang es, wenn er kam.
53
Vikki gab ein wimmerndes Geräusch von sich. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Panisch blickte sie sich um und fand die Reste der Plastikstreifen auf dem Boden. Sie bückte sich, bekam sie aber zunächst nur mit den Fingernägeln zu fassen. Erst beim nächsten Mal erwischte sie den Kunststoff.
Schritte waren zu hören.
Die Chemietoilette.
Vikki machte einen Ausfallschritt, schnappte sich den Behälter und hetzte auf Zehenspitzen durch den Raum. Sie plazierte das Campingklo wieder dort, wo es gestanden hatte. Dabei stellte sie es nur mit der Kante und zu heftig auf den Boden. Es gab ein lautes Geräusch, als der Behälter auf die Seite kippte. Vikki zuckte zusammen.
Die Schritte stoppten auf der Treppe. Einige Augenblicke lang war gar nichts zu hören. Der Mann schien nachzudenken, und Vikki trat den Angriff nach vorne an.
»Hilfe!«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme. »Ich bin hier! Hilfe!«
Natürlich hatte das Schreien keinen Sinn. Niemand würde sie hören – bis auf den Mann, der sie vielleicht innerhalb der nächsten Minuten umbringen würde. Aber es überdeckte die anderen Geräusche. Vikki stellte das Campingklo wieder aufrecht hin und schob es über den Boden. Dann huschte sie in ihre Ecke, setzte sich hin und versteckte die Hände hinter dem Rücken.
»Hilfe!«, schrie sie erneut, hielt die zerschnittenen Plastikstreifen fest umschlossen und betete, dass er nichts merken würde.
Es knirschte im Türschloss. Die Tür ging auf. Der Mann kam herein. Wie immer trug er eine Strumpfmaske. In der rechten Hand hielt er eine Plastiktüte, in der sich etwas Schweres zu befinden schien. Er schloss die Tür und hielt auf Vikki zu, die ein weiteres Mal um Hilfe schrie. Der Mann holte im Gehen mit der Tüte aus und schwang sie mit Wucht in Vikkis Gesicht.
Der Schlag war hart. Ihr Kopf flog nach hinten und knallte gegen die Wand. Sie keuchte. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen. Vikki spannte den Körper an, um nicht zur Seite zu fallen. Mit eisernem Griff hielt sie die Kabelbinder umfasst. In ihrem Mund breitete sich ein bitterer Geschmack aus.
»Dein Schreien«, sagte der Mann ruhig, »wird niemand hören.«
»Dann«, antwortete sie und spürte, dass ihr etwas Warmes über Lippen und Kinn lief, »kannst du mich ja so viel schreien lassen, wie ich will.«
»Ich kann dir auch die Zunge herausschneiden.«
»Dann wirst du nicht mehr viel Spaß haben, wenn du mich küssen willst.«
Der Mann lachte leise.
»Du willst, dass ich dich liebe«, erklärte sie schnell. »Wenn man sich liebt, hat man eine Beziehung. In einer Beziehung küsst man sich. Ich würde meine Zunge nicht in eine vernarbte, knorpelige Mundhöhle stecken wollen. Außerdem ist es sehr schwer, sich in jemanden zu verlieben, der einem die Zunge herausschneidet.«
»Es fällt auch schwer, sich in jemanden zu verlieben, der einen vergewaltigt. Und das habe ich mit dir getan.«
Scheiße, dachte Vikki, Falle. Hinter dem Rücken fühlten sich ihre Hände an, als seien sie in Schweiß getaucht worden. Sie spürte ein Brennen im Unterleib – als müsse sie sich jeden Moment unkontrolliert entleeren. Sie versuchte ein Lächeln, das mit ihrer aufgeplatzten Lippe recht bizarr wirken musste. Aber der Typ stand womöglich darauf.
»Vielleicht gefällt mir die harte Tour?«, log sie. »Ich glaube, unter anderen Umständen hätten wir zwei sicher Potenzial. Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist – wir alle sind nur Produkte unserer Vergangenheit. Bei mir ist auch viel schiefgelaufen, das haben wir gemeinsam. Es liegt alles bei dir, und …«
Der Mann nahm die Plastiktüte in beide Hände und leerte sie über Vikki aus. Eine volle Getränkeflasche, zwei Sandwiches und eine Packung Traubenzucker prasselten auf sie ein. Dann knüllte der Mann die Plastiktüte zusammen und steckte sie sich in die Hosentasche. »In einer Beziehung kümmert man sich um einander.«
»Danke«, sagte Vikki leise und senkte den Blick. Wo die Sprudelflasche ihren Oberschenkel getroffen hatte, würde es einen prächtigen blauen Fleck geben.
»Wenn ich das nächste Mal komme, werden wir herausfinden, ob du mich wirklich liebst.«
»Und wenn du nicht
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