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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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hereinwehte. Mit dem Duft kamen die Erinnerungen zurück – auch die an Omas Tod und an das Gefühl, wie ein Schiff ohne Hafen und Anker in der Brandung zu treiben.
    Die Uhr in der kleinen Einbauküche zeigte mittlerweile 2.50 Uhr an. Femke ging zu den Fensterbänken, die sie mit Dekokrimskrams vollgestellt hatte, um auch hier zu putzen. Sie nahm eine Vase auf, behielt sie in der Hand, und ihre Gedanken verloren sich.
    Vergiss es, dachte sie. Vergiss es, du kannst dich nicht ablenken, du kannst aber auch nicht die Fakten akzeptieren. Drei Leichen waren geborgen worden, und es schien klar, dass sie alle das Opfer eines Mörders waren, der unweit von Werlesiel einen Privatfriedhof unterhielt. Natürlich war das längst noch nicht bewiesen. Aber jeder, der vor Ort gewesen war, dachte das Gleiche. Damit war das Grauen über die kleine Stadt hereingebrochen. Nein, schlimmer. Es war die ganze Zeit über schon da gewesen – niemand wusste, wie lange schon. Ungezählte Male war Femke an den Gräbern vorbeigefahren. Wer waren die Toten? Wer war der Täter? Warum war das alles nicht früher aufgefallen? Wie hatte es unter ihren Augen geschehen können? Und wo war Vikki Rickmers? War sie das nächste Opfer? Lebte sie überhaupt noch?
    Femke betrachtete die Vase. Nun, es war nicht an ihr, das herauszufinden. Vielleicht war das am schwersten zu akzeptieren. Sie konnte assistieren, wo es möglich und nötig war. Doch die Fäden hielt ein anderer in der Hand, und er entschied, ob und wie weit er Femke in die Ermittlungen involvierte und ob die »lokalen Kompetenzen« immer noch gefragt sein würden. Tjark Wolf, der gefallene Held. Mittlerweile war Femke klar, warum man ihn nach Werlesiel zur Vermisstensuche geschickt hatte: Wenn ein internes Verfahren gegen ihn lief, war er sicher abserviert oder sogar zeitweise außer Dienst gestellt worden. Eine vermeintliche Routinesache wie die Suche nach einer vermissten Person war das Maximum dessen, das man ihn aktuell bearbeiten ließ.
    Bei einer Festnahme sollte er gewalttätig gewesen sein – seltsam. Das schien so gar nicht zu ihm zu passen. Allerdings hätte sie auch nicht erwartet, dass er herablassend und besserwisserisch sein konnte. Nun, wer glaubte das auch schon von seinem persönlichen Star? Andererseits stand Tjark intern sicher mächtig unter Druck. Und wer war sie überhaupt, über Dinge zu urteilen, von denen sie nur vom Hörensagen wusste?
    Femke stellte die Vase zurück auf die Fensterbank. Dann blickte sie auf, weil sie ein Geräusch gehört hatte. Zwei Lichter kamen direkt auf sie zu. Wie ein geblendetes Reh stand sie da, verharrte in der Bewegung. Dann erloschen die Scheinwerfer, die das Zimmer in gleißendes Weiß getaucht hatten. Wenige Momente später schälte sich ein Gesicht aus der Dunkelheit. Jemand klopfte ans Fenster. Es dauerte einen Moment, bis Femke Ruvens Züge erkannte.
    »Femke?«, hörte sie seine Stimme gedämpft durch die Glasscheibe.
    »Was machst du denn hier?«, antwortete sie und erwachte wie aus einem Traum. Natürlich konnte sie sich denken, was er hier tat. Ruven arbeitete oft nachts im Security-Dienst. Er war an ihrem Haus vorbeigekommen, hatte noch Licht gesehen, sich Sorgen gemacht und nach dem Rechten sehen wollen. Sie wachte über Werlesiel, er wachte über Werlesiel, aber die Zeiten, in denen sie übereinander gewacht hatten, waren längst vorbei – wenngleich Ruven das immer noch nicht ganz zu akzeptieren schien.
    »Ich komme gerade von meiner Runde und hab noch Licht bei dir brennen sehen«, sagte er. Die Scheibe beschlug von seinem Atem. »Ist alles okay?«
    Femke presste die Lippen aufeinander, nickte und versteckte den Putzlappen in der Gesäßtasche der Jeans. »Ja«, sagte sie, »danke«, und dachte: Es ist überhaupt nichts okay, und das wird für einige Zeit so bleiben.
    Ein mitleidiges Lächeln umspielte Ruvens Mund. Er sah nach unten. Dann blickte er wieder nach oben, nahm seine Mütze ab und strich sich mit der Hand über den rasierten Schädel. Er wusste, dass sie gelogen hatte. Er kannte ihre Rituale – Punkt elf Uhr machte sich Femke in der Woche bettfertig, um halb zwölf Uhr wurde das Licht gelöscht, um Viertel vor zwölf schlief sie tief und fest. Man konnte die Uhr danach stellen. Mitten in der Nacht putzen gehörte eindeutig nicht zu den üblichen Gewohnheiten.
    Ruven fragte: »Hast du Kaffee?«
    »Natürlich«, seufzte Femke.
    Ruven kam herein, und Femke machte ihm einen Crema mit der Nespresso. Er trank ihn gerne

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