Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
Träne hatte eine Spur durch mein Gesicht gezogen, das schmutzig war. Sie hing an meinem Kinn. Ich wusste genau, wann dieses Bild entstanden war. Einer unserer Trainingstage, nachdem ich mit Thomas geschlafen hatte. Ich war so unkonzentriert gewesen, dass wir fast jedes Hindernis rissen. Papa hatte gar nichts gesagt, sondern war einfach vom Platz gestiefelt. Ich war wütend und enttäuscht gewesen. Dann hatte ich die Nüstern von Fly an meiner Schulter gespürt. Ich drehte mich um, und da stand er vor mir. Er wollte mich trösten, wo ich so viel Mist gebaut hatte. Natürlich war das sehr menschlich ausgedrückt. Er spürte einfach meine Stimmung und merkte, dass ich ihn brauchte. So war das Foto entstanden. Darin steckte so viel Liebe, so viel Vertrauen, so viel Verletzlichkeit, dass es mir ins Herz schnitt. Ich drückte das Foto an mich.
In meiner Reha gab es eine dunkle Zeit. Eine Zeit, in der ich so verzweifelt war, weil ich mich nicht spürte, dass ich zwei Mal nahe dran gewesen war, ein Messer zu nehmen und mir den Arm aufzuschlitzen. Nicht, um mich zu töten. Sondern einfach nur, um mich zu spüren. Jetzt, in diesem Moment, empfand ich das gleiche Bedürfnis.
Wie lange ich so dasaß, ich wusste es nicht. Doch etwas durchbrach meine Ohnmacht. Es war das Geräusch einer Tür, die geschlossen wurde. Mir stockte der Atem. Henning durfte mich in keinem Fall so finden. Hastig steckte ich das Bild zurück in die Schublade und schloss sie. Ich griff meine Sachen und rannte zur Tür. Ich hörte, wie sich seine Schritte auf die Tür zubewegten. Es gab keine Fluchtmöglichkeit. Ich verharrte, dann hörte ich leise ein Telefonklingeln, seine Schritte entfernten sich. Jetzt oder nie. Ganz leise öffnete ich die Tür, sah, wie Henning in die Küche bog. Blitzschnell schloss ich seine Tür, öffnete die vom Gästezimmer und schlüpfte hinein. Atemlos schloss ich die Tür hinter mir. Keine Sekunde zu spät, ich hörte bereits seine Schritte wieder den Flur entlangkommen.
„Vera?“
Ich warf die Sachen auf den Boden, riss den Quilt vom Bett und rutschte tief unter die Decke. Ich konnte jetzt auf keinen Fall reden. Die Tür öffnete sich. „Vera, schläfst du schon?“
Ich versuchte, ganz ruhig dazuliegen, und hielt den Atem an. Ein paar Sekunden verstrichen. Er ging wieder hinaus. „Nein, tut mir leid, meine Verlobte schläft bereits. Ja, ich richte ihr das aus. Wann kann sie morgen kommen? Okay. Ach ja, danke, dass Sie angerufen haben.“
Ich hatte vollkommen Papas Operation vergessen! Ich drehte mich um und drückte meinen Kopf leise stöhnend in das Kissen.
Die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich zum zweiten Mal. Atme, sagte ich leise zu mir, wenn du nicht atmest, wird er misstrauisch. Mein rechtes Bein befand sich durch das Drehen im Freien. Ich spürte seine Hand, die sachte die Decke auf mein nacktes Bein zog. Er drückte die Bettdecke rund um mich herum fest. Strich mir das Haar aus dem Gesicht, gab mir einen leichten Kuss auf die Wange.
„Schlaf gut, Schneckchen, dein Papa hat alles gut überstanden.“
Ich hörte, wie er die Tür hinter sich zuzog. Einige Minuten ließ ich verstreichen, bevor ich es wagte, mich zu bewegen. Dann legte ich mich auf die Seite und rollte mich zusammen. Ich hatte Angst auseinanderzufallen. Wie sollte ich nur schlafen mit diesem Foto im Kopf? Es war in mein Gehirn fest eingebrannt. Ich schluckte. Warum hatte ich Henning nicht einfach vertraut?
6
Trotz meiner Sorgen um Papa, trotz des Bildes von Fly und mir, das mich in eine ganz andere Zeit hineinversetzt hatte, war ich eingeschlafen, und nicht nur das, mein Schlaf war tief und traumlos. Als ich aufwachte, wusste ich einen Moment lang nicht, wo ich mich befand. Ich sah mich in dem Raum um, schaute auf ein Bild, auf dem ein Indianer einen Fluss mit einem Einbaum befuhr. Dann fiel mir der gestrige Abend ein. Ich stand auf. In der Wohnung war es still. Ich schlich in den Wohnraum, sah auf die Uhr und bekam einen Schreck. Schon neun Uhr! Ich beschloss, dass auch für Henning der Schlaf reichen musste, doch da fiel mein Blick auf die Küchentheke. Zwei Teller, ein leerer Brotkorb, Butter, Marmelade, Wurst und Käse standen darauf. Auf der Butter lag ein Zettel.
„Morgen, Schneckchen, bin eine Runde laufen, bringe die Brötchen mit. Bin gegen neun zurück. Solltest du wach sein und den Zettel lesen, sei so lieb und mache uns Kaffee. Die Milchkanne steht im Kühlschrank. Du musst sie einfach nur in die Maschine schieben. Mache die
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