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Dummendorf - Roman

Dummendorf - Roman

Titel: Dummendorf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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dass dies noch nicht das Ende war, sondern erst der Anfang davon. In Kostjas Stimme lag, genau wie in Ljubkas Geschrei, Unabwendbarkeit, aber nicht die Entschlossenheit, sich ihr jetzt gleich zu ergeben.
    Gegen Abend war das Gewitter vorbei, Ljubka hatte sich ausgetobt und kam in die Hütte gelaufen. Kostja, der den ganzen Tag nichts gesagt hatte als »ich hasse dich«, erhob sich mürrisch und ging mit seiner Mutter nach Hause.

NEUNTES KAPITEL
Dummendorf
    Dietrich, der rotwangige Deutsche mit dem weichen dunkelblonden Bart, der eher wie ein Nowgoroder Recke als wie ein ausländischer Freiwilliger aussah, vollzog eine heilige Handlung: Er kippte den Müll aus drei großen Plastiksäcken auf die Erde und sortierte ihn ordentlich auf drei Haufen.
    Von weitem hielt Mitja Dietrich für einen der Psychos, die das Dorf bevölkerten, und lief unwillkürlich langsamer, um hinter Nastja zu bleiben.
    Ehrlich gesagt wäre er überhaupt am liebsten wieder umgekehrt, aber sein Kleinmut beschämte ihn, und vor allem hätte er nicht gewusst, wie er das diesem keineswegs hübschen Mädchen erklären sollte, das so leichtfüßig und freudig neben ihm herlief und absolut keine Zweifel zu haben schien, dass er der bevorstehenden Begegnung gewachsen sein würde.
    Mitja selbst war anderer Ansicht. Menschliches Leiden war ein Gebiet des Lebens, das er stets sorgfältig umschiffte – nicht aus Hartherzigkeit, sondern weil er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, was sagen, was tun, wo hinschauen. Wie der Strauß den Kopf in den Sand steckt, so verkroch er sich in die Geschichte. Leiden gab es auch dort genug, aber sie waren vergangen und forderten ihn nicht zu direktem Eingreifen auf.
    Mein Wühlen in der Vergangenheit ist im Grunde nichts weiter als schiere, banale Angst. Die miese Lebensangst des Intelligenzlers. Abscheulich! Mitja verzog das Gesicht, die Augen blind auf Nastjas Hinterkopf gerichtet, und zwang sich zu gehen, wohin er auf keinen Fall gehen wollte.
     
    Der rotwangige Dietrich schwenkte eine leere Pralinenschachtel zur Begrüßung.
    »Mülltrennung!«, kreischte er mit der überdrehten Heiserkeit eines Marktschreiers. »Fast hundert Prozent Wiederverwertung! Die Umwelt duldet keinen Verlust! Denken, ich dumm? Die Natur denken das nicht!«
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte Nastja fürsorglich, und Mitja zuckte bei dieser Aussicht innerlich zusammen.
    »Hilfe? O ja!« Dietrich klatschte in die Hände. »Erklären den Leute, dass drei Container! Drei! Nicht ein! Ich sage! Sie hören nicht!«
    »Nur Geduld. Sie lernen immer langsam. Das weißt du doch.«
    »Du denken, wegen dumm? Nein! Ist wegen russische Mensch! Ich leben zwei Jahre mit eure Hippies! Sie nicht dumm! Alle lesen Castañeda und reden über Spiritualität! Aber Müll in drei Container, das nein! Ich sage jeden Tag! Sie zustimmen – und werfen alles auf eine Haufen! Spiritualität, Scheiße, Mann! Russland große Territorium, viel Platz für Müll!«
    »Sie, ja, Sie sind bestimmt kluge Mensch«, wandte sich Dietrich überraschend an Mitja. »Sie erklären mir – warum? Was ist Rätsel?«
    Mitja überlegte und lachte plötzlich.
    »Erinnern Sie sich, wie Gagarin aus dem Kosmos zurückgekehrt ist? Er läuft durch den Kreml, alle Fernsehsender der Welt filmen ihn, und sein Schnürsenkel schleift auf dem Boden! Fehlt nur noch, dass er drauftritt und hinkracht, der Held. Da haben Sie die russische Seele in ihrer ganzen Pracht! Etwas vollbringen, was zuvor noch niemand geschafft hat, und dann mit offenen Schnürsenkeln herumlaufen.«
    »Aber bei Schnürsenkel muss anfangen«, sagte Dietrich. »Bei klein. Müll in drei Container. Logisch?«
    »Logisch! Aber langweilig! Was ist Müll gegen den Kosmos!«
    »Was ist das – Stolz?«
    »Ich würde sagen: Schwärmerei.«
    Der Deutsche warf beide Arme hoch, wie ein gefangener Soldat, fauchte eine unübersetzbare Interjektion und machte sich wieder ans Müllsortieren.
     
    »Dietrich hat einen Ökologie-Tick«, erklärte Nastja wie entschuldigend, als sie sich ein Stück entfernt hatten. »Diese Häuser hat er selbst gebaut, eigenhändig, damit der Natur kein Schaden zugefügt wird. Nach irgendwelchen speziellen Technologien. Ausschließlich aus Naturmaterialien.«
    »Was hat ihn eigentlich bewogen herzukommen?«
    »Er sagt, das sei bei ihnen so üblich. Wenn man fertig ist mit dem Studium, geht man erst mal ein paar Jahre als Freiwilliger ins Ausland, bevor man anfängt zu arbeiten.«
    »Ja, aber warum? Was treibt sie

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