Dummendorf - Roman
und winkte Serafima zu. Ljubkas Gesicht war rein, als hätte sie in einem besonderen Wasser gebadet, das nicht nur den Schmutz abwäscht, sondern auch die untilgbare Fäulnis eines verdorbenen Lebens.
Vor ihr stand ein großer Korb reifer Äpfel. Ljubka nahm einen heraus, wischte ihn an ihrem Kleid ab und reichte ihn Serafima. Der Apfel war süß und saftig.
»Wo hast du die geholt?«, staunte Fima. »Solche wachsen bei uns nicht.«
»Da drüben.« Ljubka nickte zu einer kümmerlichen Gerte hinüber. »Mein Bäumchen.«
Sie legte nacheinander drei weitere Äpfel ins Gras.
»Für Fim. Für den großen Kostja. Für den kleinen Kostja. Gib sie ihnen.«
»Mädchen«, fragte Serafima traurig, weil sie bereits alles ahnte, »warum gibst du sie ihnen nicht selbst?«
Ljubka, noch immer lächelnd, schüttelte den Kopf, griff nach ihrem Korb und lief querfeldein davon. Ohne sich umzusehen.
Serafima fuhr zusammen und sah eine Schale mit erkaltetem Tee vor sich. Jefim lächelte ihr über den Tisch zu wie einem Kind.
»Unsere Ljubka«, brachte Fima mühsam heraus, und Jefim verdüsterte sich. »Ich glaube, sie hat ausgelitten.«
Am Ende des dritten Tages schlug das Wetter um. Anhaltender Regen trommelte aufs Hüttendach. Der Himmel hatte sich zugezogen. Der Wind trug von der Müllkippe endloses, jämmerliches Geheul heran. Dort peinigte eine verzehrende Krankheit den alten Hund Parschiwka, der so hässlich war, dass ihn nicht einmal Minkin leiden mochte.
Sie schwiegen und machten kein Licht. Kostja lief ab und zu hinaus in den Regen, umrundete die Kirche, und Vater Konstantin hörte dumpfe Schläge gegen die rostige Regentonne.
Dann kam er zurück, verkroch sich in die äußerste Ecke und verfiel in Reglosigkeit. Mitunter schien es, als wäre auch der Junge verschwunden. Als hätte er sich aufgelöst in der elenden Dämmerung der Welt, genau wie Ljubka. Vater Konstantin horchte in die Dunkelheit, hörte aber nichts, nicht einmal ein Atmen.
»Warum hast du eigentlich den Palast und die Sauna abgelehnt?«, fragte Kostja plötzlich heiser lachend. »Ich hätt’s angenommen.«
Vater Konstantin zuckte die Achseln. Wieder umhüllte sie das gleichmäßige Rauschen des Regens.
»Obwohl, von so einem Kastraten was zu nehmen ist natürlich ’ne Schande«, fuhr Kostja nach einer Weile mit beängstigender Lebhaftigkeit fort.
Es war offenkundig, dass er an etwas anderes dachte und dass diese Gedanken ihm schwer zu schaffen machten.
»Wollen wir noch mal zum Sägewerk gehen?«, schlug Vater Konstantin vor.
»Wozu? Sie machen uns sowieso nicht auf«, entgegnete Kostja, und seine Nylonjacke raschelte.
Sie traten hinaus unter den grauen Himmel und liefen die aufgeweichte Straße entlang. Unter ihren Füßen schmatzte Schlamm. Pfützen kräuselten sich im scharfen Wind. Der Herbst war wohl angebrochen, und es schien, als würde es nun immer so bleiben.
Kostja ging voran, die Hände tief in den Taschen. Den Jackenkragen hatte er hochgeschlagen, aber das half nicht: Eisiges Wasser vom Himmel lief ihm den Hals hinunter. Plötzlich drehte er das nasse, böse Gesicht zu Vater Konstantin um und rief:
»Und, wo ist denn jetzt dein Gott?«
»Hier.«
Kostja trat ganz dicht vor ihn hin, wie bei ihrer ersten Begegnung, und sagte dumpf, den Blick zur Seite gewandt:
»Ich werde jemanden umbringen.«
Vater Konstantin umarmte ihn behutsam. Kostja riss sich nicht los.
»Du kannst mich sowieso nicht zurückhalten«, sagte er hoffnungslos, den Kopf an Vater Konstantins Brust.
Der Regen setzte mit neuer Kraft ein. Doch sie standen noch immer am Straßenrand, nass bis auf die Knochen. Zu zweit.
Schließlich löste sich Kostja, schnäuzte sich zwischen Daumen und Zeigefinger und sagte müde, wie ein Erwachsener:
»Wenn alles vorbei ist, gib mich in die Suworow-Schule. Vielleicht kriegen die mich in den Griff.«
Wowka kurbelte wie wild am Lenkrad, um die bodenlosen Pfützen zu umfahren, in denen man hoffnungslos steckenbleiben konnte. Er rauchte ununterbrochen und fluchte über den ganzen Bus, in dem schon die zweite Tour hintereinander niemand saß: »Miststück! Rabenaas! Ich könnte einen General fahren!«
In einem Kiefernwald hielt er an und stieg aus, um sich zu erleichtern.
»Alte Schlampe!«, brüllte er undeutlich, eine Filterzigarette zwischen den Zähnen, und verzog das Gesicht vom beißenden Qualm, der ihm direkt in die Augen stieg.
Plötzlich verschluckte sich Wowka, ließ die Zigarette fallen und zog mit einem
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