Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
simple Gefälligkeit.«
21
Die Aufeinanderfolge tatsächlicher Ereignisse wird im hellseherischen Bereich nur in außergewöhnlich seltenen Fällen als präziser, zusammenhängender Ablauf erkennbar. Das zweite Gesicht greift willkürlich Ereignisse aus der Kette realen Geschehens. Die Ewigkeit aber ist nicht konstant; sie bewegt sich, unterliegt Veränderungen. Sie zwingt sich dem Orakel wie dem Suchenden auf. Man mag Muad'dibs Göttlichkeit und seine orakelhaften Visionen anzweifeln. Man mag übernatürliche Fähigkeiten an sich für manipulierten Aberglauben halten. Doch zweifle man niemals die Ewigkeit an.
»Phänomene der Parapsychologie«
von Firas ibn Marwan
Hayt sah Alia aus ihrem Tempel kommen und über den Vorhof gehen. Ihre Leibwache marschierte in halbkreisförmiger Phalanx hinter und neben ihr, ein halbes Dutzend Amazonen mit martialischen Mienen, die nicht verbergen konnten, daß ihre Gesichter von Selbstzufriedenheit und gutem Leben sprachen.
Drei Ornithopter glänzten in der hellen Nachmittagssonne hoch über der Zitadelle. Die roten Faustsymbole auf den Rümpfen gaben sie als Teil von Muad'dibs Palastwache zu erkennen.
Hayts Blick kehrte zurück zu Alia. Umringt von diesen wuchtigen Frauenzimmern sah sie wie eine Gefangene aus, dachte er. Jedenfalls nicht wie eine, die anderen Menschen mit einem Blick ihrer Augen Schweiß auf die Stirn treiben konnte. Und noch etwas fiel ihm auf, als er sie näherkommen sah: Alia wirkte nur nachdenklich, wenn sie lächelte. Es mußte ein Trick mit den Augen sein. Er entsann sich ihres Auftritts beim Empfang für den Gesandten der Gilde: hochnäsig und distanziert vor einem Hintergrund von Musik und spröder Konversation, zwischen extravaganten Kleidern und mit Orden behängten Uniformen. Und Alia hatte Weiß getragen, ein helles Gewand der Keuschheit. Er hatte sie von einem der oberen Fenster aus beobachtet, als sie durch einen der Palastgärten geschlendert war, vorbei an Teich und Springbrunnen, unter den blassen Büscheln von Pampasgras und herabhängenden Glyzinienblüten.
Ganz falsch, dachte er. Sie gehört in die Wüste.
Hayt holte tief Luft. Alia war außer Sicht gekommen. Er wartete nervös, ballte und streckte die Finger, trat von einem Fuß auf den anderen. Das Gespräch mit Bijaz hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, ohne daß er zu sagen vermochte, warum dies so war.
Er hörte Alia mit ihrem Gefolge durch den Korridor kommen. Die Schritte gingen an dem Zimmer vorbei, in dem er wartete. Anscheinend wollte sie in die Privatsuite der Herrscherfamilie.
Er versuchte sich klarzuwerden, was ihm eben an ihr aufgefallen war. Wie sie über den Platz gegangen war? Ja, das mochte es sein. Sie hatte sich wie ein gejagtes Tier bewegt, als ob sie vor etwas oder jemand auf der Flucht wäre. Er trat auf den durchlaufenden Balkon hinaus und ging ihn entlang. Erst an der Ecke, wo die als Sonnenschutz heruntergelassenen Markisen endeten, blieb er in ihren Schatten stehen. Ein paar Meter vor ihm lehnte Alia an der Balustrade und blickte hinaus über ihren Tempel.
Seine Augen folgten ihrer Blickrichtung. Er sah die Stadt vor sich ausgebreitet in Sonnenlicht und Staub, lehm- und rostfarbene Blocks, kriechendes Leben auf den heißen Straßen. Vage Geräusche drangen herauf. Dächer glänzten, Gebäudeumrisse waberten im Hitzeflimmer. Auf dem weiten Tempelvorplatz spielte ein einsamer Junge mit einem Ball, warf ihn gegen eine Wand und fing ihn wieder auf. Hin und her ging der Ball.
Auch Alia beobachtete den Ball. Sie fühlte sich in eine absurde Identität mit diesem Ball gezwungen – hin und her, hin und her ... Sie sah sich wie einen Ball durch die Korridore der Zeit springen.
Das Melangegetränk, das sie vor dem Verlassen des Tempels hinuntergeschüttet hatte, war die größte Portion gewesen, die sie jemals versucht hatte. Noch bevor die Wirkung eingesetzt hatte, war sie über ihr eigenes Tun bestürzt gewesen.
Warum habe ich es getan? fragte sie sich.
Man wählte zwischen Gefahren. War es das? Dies schien ihr der geeignete Weg zu sein, den Nebel zu durchdringen, der von diesem verdammenswerten Tarock über die Zukunft gebreitet worden war. Eine Barriere existierte, die durchbrochen werden mußte. Sie hatte aus einer Notwendigkeit gehandelt, rechtfertigte sie sich. Sie mußte sehen, wohin ihr Bruder augenlos wanderte.
Die Droge begann zu wirken. Alia holte tief Atem. Eine spröde Form von Ruhe überkam sie, verhalten und abwesend.
Das zweite
Weitere Kostenlose Bücher