Dunkel ueber Longmont
war, daß er im Laufe eines Tages nur von einem Raum zum anderen schlurfen konnte – und er konnte von Glück reden, daß er sich überhaupt bewegte, denn viele, die ihres Stoffwechsels beraubt worden waren, fielen einfach in einen segensreichen Schlaf und erwachten erst, wenn der Lord, dem sie ihre Gabe übertragen hatten, starb. Der Anblick widerte sie an.
Als Runenlords waren Iome und ihre Familie Erben unentgeltlicher Dienste seitens ihrer Untertanen, wenn auch um einen entsetzlichen Preis.
»Euer Mitgefühl ehrt Euch, Prinzessin Sylvarresta, aber mein Vater hat Eure Respektlosigkeit nicht verdient. Abgesehen von seinem Pragmatismus hat nur wenig anderes unser Königreich während des letzten Dutzends Jahre vor Raj Ahten bewahrt.«
»Das ist nicht ganz richtig«, wandte Iome ein. »Mein Vater hat im Laufe der Jahre Meuchelmörder nach Süden entsandt.
Viele unserer intelligentesten Krieger haben ihr Leben gelassen. Andere werden gefangengehalten. Wieviel Zeit wir auch gewonnen haben, bezahlt haben wir sie zum Teil mit dem Blut unserer besten Männer.«
»Natürlich«, stimmte Gaborn mit einer Leichtfertigkeit zu, die verriet, wie wenig er von den Bemühungen ihres Vaters hielt. Sie wußte, daß sein Vater sich seit Jahrzehnten auf diesen Krieg vorbereitet und mehr als jeder andere darum gekämpft hatte, Raj Ahten niederzuringen. Sie merkte auch, daß sie versuchte, Gaborn zu einem Streit zu reizen, allerdings besaß er nicht das Temperament seines Vaters. Iome wollte Gaborn nicht mögen, wollte sich einreden, daß sie unter keinen Umständen imstande gewesen wäre, ihn zu lieben.
Sie war versucht, ihn anzusehen, traute sich aber nicht. Was, wenn sein Gesicht strahlte wie die Sonne? Wenn er unglaublich schön war? Würde ihr das Herz im Brustkorb flattern wie die Flügel einer Motte?
Jenseits der Burgmauern wurde es dunkel. Der rote Widerschein der Feuer im dichten Wald erinnerte Iome an verglühende Scheite rote Flammen, die unter goldenen und scharlachroten Blättern züngelten. Frowth-Riesen kamen an den Waldrand. Im Zwielicht hätte man sie fast für Heuhaufen halten können – so zottelig waren ihre goldenen Köpfe und Rücken.
»Verzeiht mir mein Gezänk«, sagte Iome. »Ich habe schlechte Laune. Ihr verdient es nicht, so grob behandelt zu werden.
Wenn wir kämpfen wollten, könnten wir vermutlich jederzeit nach unten auf das Schlachtfeld gehen und ein paar von Raj Ahtens Soldaten niedermetzeln.«
»Ihr wollt doch nicht etwa mit in die Schlacht ziehen?« fragte Gaborn. »Versprecht mir das! Raj Ahtens Schwertkämpfer sind keine gewöhnlichen Menschen.«
Iome mußte bei der Vorstellung, am Kampf teilzunehmen, schmunzeln. Sie trug stets einen kleinen Dolch am Bein, unter ihrem Rock, wie viele unbescholtene Damen, und sie wußte ihn zu gebrauchen, aber eine Fechterin war sie nicht. Sie beschloß, den Prinzen noch ein wenig zu reizen.
»Warum nicht?« erwiderte sie herausfordernd, nur halb im Scherz. »Auf den Burgmauern stehen Bauern und Kaufleute!
Ihr Leben bedeutet ihnen ebensoviel wie unseres uns! Sie sind nur mit jenen Gaben ausgestattet, die ihre Mütter ihnen bei der Geburt mitgaben. Ich besitze inzwischen Gaben der Geisteskraft, der Anmut und des Durchhaltevermögens, um mich zu verteidigen. Ich habe vielleicht keinen kräftigen Schwertarm, aber warum sollten ich nicht kämpfen?«
Sie erwartete, daß Gaborn ihr erklärte, wie gefährlich die Schlacht sein würde. Die Frowth-Riesen hätten Muskeln wie aus Eisen. Jeder von Raj Ahtens Soldaten besäße Gaben der Muskelkraft, der Anmut und des Durchhaltevermögens.
Darüber hinaus waren sie im Kriegshandwerk ausgebildet.
Doch jetzt merkte Iome, daß sie nicht bereit war, Zugeständnisse an den gesunden Menschenverstand zu machen, denn ihr Einwand war berechtigt. Ihre Untertanen schätzten ihr eigenes Leben tatsächlich ebenso wie sie das ihre.
Sie war entschlossen, bei der Verteidigung der Burgmauern zu helfen. Genau wie ihr Vater.
Aber Gaborns Antwort überraschte sie: »Ich will nicht, daß Ihr kämpft, weil es eine Schande wäre, soviel Schönheit dem Tod preiszugeben.«
Iome lachte, klar und rein wie der Ruf eines Ziegenmelkers auf einer Lichtung. »Ich habe mich bislang geweigert, mir Euer Gesicht anzusehen«, sagte sie, »weil ich Angst hatte, mein Herz würde den Kopf überstimmen. Vielleicht hättet Ihr es genauso machen sollen.«
»Es stimmt, Ihr seid wunderschön«, erwiderte Gaborn, »aber ich gehöre nicht zu den jungen
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