Dunkelmond
mit der wir nach Farokant ziehen können. Vielleicht treffen wir sogar die ersten Truppen, die der Fürst von Entarat aus Dabazar geschickt hat.«
Sinan warf einen letzten Blick auf den in der Sonne dampfenden Eisberg. Er hatte immer noch das Gefühl, dass ein kalter Luftzug von dort unten heraufwehte. Nun, da die Reiter verschwunden waren, rührte sich nichts mehr im Dorf.
Wahrscheinlich waren wirklich alle Bewohner dem Rachedurst des Heermeisters zum Opfer gefallen. Sinan schickte ein Gebet zum Dunkelmond und bat ihn, den Seelen der Dahingeschiedenen den Weg in seine Feuer zu weisen.
Als Sinan sich vom Dorf abwandte, hätte er nicht mehr sagen können, welchen der Söhne des Dajaram er mehr hasste. Tarind, der seinen Vater, seine Familie und damit seine Ehre und die seines Hauses zerstört hatte, oder seinen hochmütigen Zwilling, der die warme Magie des Dunkelmonds mit einer Kälte vernichtete, die schlimmer war als alle Grausamkeit, die Tarind innewohnte.
Wieder schickte Sinan ein inbrünstiges Gebet an Akusu.
Vielleicht hatten Ronan und die Weisen recht. Vielleicht warein Amadian dazu ausersehen, die Gerechtigkeit in der Welt wieder herzustellen.
Und Sinan wusste, dass er alles dafür tun würde, derjenige zu sein, der dies vollbrachte.
Kapitel 12
»Es waren die Elben des großen Waldes von Dasthuku, die sich als Erste in den Süden wagten, in die Ebene von Barat und die Felsenberge von Loranon. Und sie waren es auch, die den Menschen das Geschenk der Sprache machten und sich mit ihnen vereinten. Doch galten sie damit ihren Geschwistern, den anderen Elbenvölkern, besonders denen von Norad und Kantis, als Verräter, und es dauerte lange, bis wieder Einigkeit unter den Kindern Vanars herrschte. Die Menschen aber dankten es den elbischen Fürsten aus dem Hause Landarias, indem sie ihre besten Erdmagier einen Palast für ihre Wohltäter errichten ließen. Auf fester Erde gebaut und umschmeichelt vom Licht der Purpursonne und doch mitten im Mondsee und im Hochwald gelegen, kündet er bis heute von den Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Elben.«
Von den Kriegen der Elben und Menschen
Vierte Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
J eder Schritt Ronans führte tiefer in den Qentar-Hochwald von Dasthuku und weg von der Straße, die entlang des Lithon nach Kharisar führte.
Die riesenhaften und majestätischen Bäume schienen von Tag zu Tag höher zu werden, die Laubkrone in den weit entfernten Wipfeln dichter. Einen Pfad gab es schon lange nicht mehr. Auch die Wedel des Goldfarns reichten Sanara bald nicht mehr nur bis zur Hüfte, sondern überragten ihren Kopf, als sie und Ronan tiefer und tiefer in den Wald vordrangen. Grün in allen Schattierungen umgab sie, dunkles Laubgrün, helles Smaragdgrün und das satte Lind des Königsfarns, das dem Wappen der Elben von Norad die Farbe verlieh.
Das allenthalben dichte Laub ließ kaum Sonnenstrahlen durch, und der von dicken Mooskissen bewachsene Waldboden verwandelte sie in grünliches Dämmerlicht. Die Pflanzen waren seit zwei Tagen so groß, dass Sanara das Gefühl hatte, sie sei um die Hälfte ihrer Größe geschrumpft.
Es wurde auch feuchter. Die Luft war schwerer zu atmen und roch nach sumpfiger Erde, nach faulenden Stämmen und dem Laub vom letzten Jahr; manchmal mischte sich noch die schwere Süße von Raqorblüten hinein. Der Boden zu ihren Füßen war morastig und schien sich durch das ihn durchdringende Wasser sowie die Wurzeln der Bäume und Farne, die sich durch die Krume gruben, allmählich zu verflüssigen. Hier hatten Wasser und Pflanzen die Macht, es war elbisches Gebiet.
Sanara hatte davon gehört, dass in diesem Teil der Wälder von Dasthuku früher das Volk der Landari gelebt hatte. Ursprünglich hatten die Elben nur die Wälder, den Saum des Östlichen Meeres und den Schnee der nördlichen Ebenen von Kantis bewohnt. Die Elbenvölker der Landari und der Norad hatten sich früher auf den riesigen Qentarbäumen Paläste gebaut und ganze Städte dort errichtet. Städte, in denen ein Baumhaus mit dem anderen durch schmale Brücken verbunden war, viele Klafter über der Erde, hoch in der Luft, weit oben in den Pflanzen, die sie dank der Magie, die Vanar ihnen geschenkt hatte, beherrschten.
Sanara erinnerte sich an die Erzählungen ihres Vaters, der als Fürst von Guzar oft durch die Lande gezogen war und einmal auch die letzten Qentarpaläste der Elben in Darkod gesehen hatte. Heute lebten nicht mehr viele Elben auf diese Weise,
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