Dunkle Häfen - Band 1
vorstellen, dass das dichte Gestrüpp mich vor den Blicken geschützt hatte. Es schloss sich über mir wie ein Dach. Ich sah auf meine Arme und Beine herunter; sie waren blutverschmiert und die Haut zerfetzt. Ich konnte den rechten Arm nicht mehr bewegen, er musste gebrochen sein. Zu allem Übel ging es bereits auf die Nacht zu - ich war wohl ziemlich lange bewusstlos gewesen. Durch die Ranken konnte ich das immer noch offene Fenster erkennen. Ich dankte Gott, dass sie mich übersehen hatten. Erst musste ich die Fesseln loswerden. Sie hatten sich mittlerweile etwas gelockert, so dass ich sie abstreifen konnte. Beim Versuch, mich aufzurichten, sackte ich erneut in mich zusammen, wobei ich mich noch mehr schnitt. Ich stemmte mich ein weiteres Mal hoch und es kostete meine ganze Selbstbeherrschung, aus dem Gebüsch herauszuhumpeln. Auch mein Bein war wohl zumindest verstaucht.
Ich befand mich in einem schattigen Gärtchen. Ein kleiner Springbrunnen plätscherte vor sich hin. Trotz der Entzündungsgefahr wusch ich mich und spülte das verräterische Blut ab. Als ich damit fertig war, musste ich mich dem größten Problem stellen: hier wieder herauszukommen. Die Mauer sah nicht aus, als könnte man sie leichtfertig übersteigen, vor allem nicht mit einem gebrochenen Arm. Ich beschloss, mich lieber zu töten, als wieder in die Händ e dieses Wahnsinnigen zu fallen. Ein Entschluss, zu dem ich allerdings sicher zu feige gewesen wäre. Selbstbeherrschung war noch nie meine große Stärke. Schon, dass ich ihm meine Angst gezeigt habe, war unverzeihlich. Es war eine Kapitulation und auch ein Todesurteil. Ich musste mir eine widerwillige Bewunderung für seine Gelassenheit eingestehen.
Hinkend ging ich zur Mauer und blickte daran entlang. Nirgends eine Stelle, wo man hinüberklettern könnte. Die kleine Tür nach draußen war natürlich verschlossen. Ich stand eine ganze Weile da und grübelte, während mein ganzer Körper brannte. Das Geräusch am Tor, das sich anhörte, als wenn jemand einen Schlüssel herumdrehte, ließ mich aufschrecken. Es kam auch tatsächlich jemand! Ich drückte mich hastig hinter eine Mauerbiegung und ging hinter einem symmetrisch geformten Busch in die Knie. Vor Schmerz biss ich die Zähne zusammen. Zwei Personen traten herein, eine davon war - wie könnte es anders sein - Fayford. Die zweite trug ein rosa Rüschenkleid und hatte blonde Ringellöckchen. Sie drehte sich zu ihrem Begleiter um und lächelte ihn an.
"Wie hübsch! Eine kleine Oase!"
Das schien nun selbst mir als Übertreibung für diesen recht gewöhnlichen Garten. Die Dame trippelte ungeachtet ihrer offensichtlichen Lüge zu dem Springbrunnen. Fayford folgte ihr. Wie ich schon einige Zeit zuvor bemerken durfte, war seiner Miene nichts abzulesen. Das Geschöpf in Rosa ließ sich anmutig auf dem Rand des Springbrunnens nieder und sprang sofort wieder auf.
"Iiihhh!" , kreischte die Frau. " Ich habe mich schmutzig gemacht! Da ist etwas Rotes!"
Fayford trat neben sie und betrachtete die Handfläche, die sie ihm entgegenstreckte.
"Was ist das?" , fragte sie ängstlich. Mein Herz raste.
"Blut ", antwortete er und sah sich um.
Ich machte mich möglichst klein in meinem Versteck.
"Und woher kommt das?"
"Der Gärtner hat sich heute Morgen verletzt", meinte er abwesend.
"Wie schrecklich!"
Entsetzt starrte die Frau auf ihre Handflächen. Ihre weißen Handschuhe waren hässlich rot.
"Ich muss kurz fort ", teilte er ihr mit und schickte sich an, loszugehen.
Sicher, um die Soldaten zu holen. Oder um den Garten zu durchsuchen. Die Frau kam mir jedoch unwissentlich zur Hilfe. Sie krallte sich in seinem Justeaucorps fest.
"Halt! Lasst mich hier nicht alleine! Ich habe Angst..."
Es wirkte grotesk, als sie mit unnachahmlicher Anmut zu zittern begann.
"Ihr braucht keine Angst zu haben. Es war nur eine kleine Verletzung."
Augenscheinlich verärgert wollte er sie abschütteln. Sie streifte ihre Handschuhe ab und ließ sie auf den Boden fallen. Dann fasste sie Fayfords Arm und hielt sich fest.
"Bleibt doch bei mir. Ich kann kein Blut sehen, es macht mir Angst."
Verzweifelt sah sie zu ihm auf. Ich fragte mich, ob sie wirklich so dumm war oder nur so tat. Egal was es war, solche Menschen waren mir zuwider. Voller Abscheu musste ich zusehen, wie er sie auf den erwartungsvollen Mund küsste und sie sich an ihn presste. Ich fragte mich, ob sein Unterleib noch schmerzte. Hoffentlich. Seine Finger gruben sich unsanft in ihre bloßen Schultern und
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